14. Juli 2023
Hauptsache erstmal los

Die Aussichten für die kommende Woche sind nicht unbedingt rosig. Immer wieder sollen Regen und Gewitter mit einhergehenden Starkwindphasen über genau die Gebiete ziehen, die ich mit Findus erreichen kann. Mein Schiff ist klein und schon aufgrund seiner Wasserlinienlänge in seiner Geschwindigkeit eingeschränkt. Hat Findus eine errechnete Rumpfgeschwindigkeit von 6,2 Knoten, so erreichen zehn, zwölf oder gar vierzehn Meter lange Boote eine Geschwindigkeit von 7,7 bis hin zu 9 Knoten. Auf eine Distanz von vierzig Meilen macht das einen Unterschied von ein bis zwei Stunden aus. Und nicht immer sind die Bedingungen entsprechend, so dass man nur selten an die Spitzengeschwindigkeit herankommt und entsprechend sogar weit länger unterwegs ist. Im Normalfall ist mir das sogar ganz lieb, doch bei den Aussichten der kommenden Tage mache ich doch Gedanken darum, wo ich wohl hinkommen kann.

Ich verlasse den Flensburger Hafen gegen Mittag und aktuell ist kaum Wind. Spiegelglatt liegt die Förde da und reflektiert die Wolken am Himmel in schillerndem Grau. Ich mag diese Stille der See. Sie wirkt so friedlich und so sanft. Geradezu harmlos, so als könne sie niemanden etwas anhaben.

Bis in die Außenförde fahre ich unter Maschine. Zum einen möchte ich Meilen machen. Ich möchte heute über den kleinen Belt in die dänische Südsee kommen und die Starkwindtage dort in vertrauter Umgebung verbringen. Urlaub bedeutet für mich u.a. aus der Förde heraus zu kommen und nicht dort im Hafen zu stehen, wo ich auch an den Wochenenden die Option habe, meine Zeit zu verbringen. Ich weiß meine Möglichkeiten durchaus zu schätzen und bin absolut froh über jeden Tag, den ich an Bord meines Schiffes verbringen kann, doch einmal im Jahr habe ich schlichtweg das dringende Bedürfnis etwas anderes zu sehen. Allein schon der Gedanke für eine gewisse Zeit alles hinter mir lassen zu können, dem Alltag den Rücken zu kehren und mich ganz auf mich selbst konzentrieren zu können, erweckt ein Gefühl der Freude in mir, was mich motiviert und anspornt. Zudem ist Findus schließlich kein spontanes Zufallsprojekt, sondern in den letzten Jahren genau dafür hergerichtet und ausgestattet, eine zeitlang als mein Zuhause zu fungieren.

Auf Höhe Kragesand setze ich dann endlich die Segel. Meine in den letzten Tagen nicht geladenen Batterien sind nun soweit voll und der Wind nimmt jetzt stetig zu. Den Kurs auf Pølsrev gesetzt, lasse ich Findus am Wind einfach laufen. Es sind nicht viele Boote unterwegs, was ein permanentes Aufpassen nicht nötig macht. Drei, vier zum Teil auch größere Segler sind ebenfalls auf dem Weg die Außenförde in Richtung Lillebælt zu verlassen. Ein Großteil der Boote, die eben noch in der Nähe waren, ist allerdings mit Kurs Sønderborg oder Høruphav abgebogen.

Die dunkle Wolke hinter mir gibt mir kurz zu bedenken. Wird sie noch mehr Wind mit sich bringen? Wird sie mich wohlmöglich mitten auf dem kleinen Belt eiskalt mit ihrer ganzen Macht erwischen? Sollte ich auch besser einen nahe gelegen Hafen anlaufen und meinen heutigen Plan verwerfen? Einige Meilen lang Blicke ich mich immer wieder um, um den Verlauf der Wolke und ihre stetige Veränderung zu beobachten. Nein, sie wird mir nicht gefährlich werden. Der von ihr mitgebrachte Wind erreicht mich nur am Rande und trägt mein Schiff schnell genug fort von ihr. Auch ein Blick in mein Handy auf die Vorhersagen des DWD und DMI geben Entwarnung. Die dunkle Wolke geht nördlich, also hinter mir durch und voraus am Horizont empfängt mich sogar ein Hauch von Blau.

Findus springt und rauscht jetzt durchs Wasser. Mein Schiff und ich sind beide in unserem Element. Gischt spritzt empor, während ich in Lee sitze und darüber staune, was ich doch mit diesem Schiff für ein pures Glück habe. So klein und zart Findus auch wirken mag, segeln kann er wie ein Großer.

Ein Rundumblick verrät mir, dass ich mich zurücklehnen kann. Nichts kommt mir entgegen und nichts ist so dicht hinter mir, dass es mich in den nächsten Minuten einholen könnte. Wahnsinn. Auch wenn ich noch nicht da bin, wo ich gern wäre und auch in diesem Jahr nicht weiß, ob ich auch nur annähernd dort hin gelangen kann, so stellt sich doch dieses lang vermisste und so wohlige Gefühl der inneren Freiheit in mir ein. Ich blicke nach vorn und sehe die offene See. Sie ist so schön. So verheißungsvoll. So lieblich. Ich bin hier. Endlich wieder. Und ich bin glücklich. All die negativen, traurigen und frustrierenden Gedanken, die mich hin und wieder an Land heimsuchen, habe ich hinter gelassen und es scheint, als seien all diese bösen Geister mit der dunklen Wolke hinter mir von dannen gezogen. Ich bin frei.

Findus scheint sich rumum wohl zu fühlen und könnte mein Schiff sprechen, würde es mit Sicherheit vor Freude jauchzen und schreien. Wieder und wieder steigt es auf den uns entgegen kommenden Wellen auf und lässt sich gleich darauf wieder ins spritzende Wasser fallen. Wie ein Delphin, der auf und ab springt und dessen scheinbares Lächeln seine Herzenslust widerspiegelt.

Ich kann mich dieser Freude nur aus tiefsten Herzen anschließen. Und auch wenn ich mir für einen winzigen Moment selbst die Frage stelle, ob das, was ich hier draußen mache, nicht vielleicht doch ein klein wenig too much sein könnte, so verwerfe ich diesen Gedanken direkt wieder. Es macht einfach Spaß hier draußen zu sein und bei jeder Welle gewinne ich wieder mehr und mehr Vertrauen in mein Boot. Und natürlich in mich. Findus kann das. Und ich kann das auch.

Den Lillebælt hoch wird es wieder ruhiger. Die Wellen kommen jetzt seitlich und Findus wechselt vom Sprung- in den Surfmodus. Welle für Welle passen wir uns an und gleiten jetzt harmonisch rauf und runter. Mit Halbwind geht es nun bis Skjoldnæs und ich genieße es, allein zu sein. Nur einmal kurz lässt meine Tochter sich im Cockpit blicken, um kund zu tun, wie doof das hier alles ist. Es ist ok. Ich weiß, dass sie meine Freude am Segeln nicht teilt und mir ist auch bewusst, dass ihre Vorstellung von Urlaub eine gänzlich andere ist. Familiäre Hintergründe lassen jedoch keine andere Möglichkeit zu. Ich gehe bereits den Kompromiss ein, nicht meine komplette Urlaubszeit in diesen Segeltörn und mein Boot zu investieren, die ich eigentlich zur Verfügung hätte.

Die letzten Meilen am Wind springt Findus erneut vergnügt durch die Wellen, während ich auf dem Verdeck das bisschen Sonne einfange, was es schafft, sich einen Weg durch die graue Wolkendecke zu bahnen. Dabei spritzt erneut Salzwasser aufs Boot und es dauert nicht lang, da bin ich genauso nass wie Findus es an Deck ist.

Eigentlich möchte ich nicht aufhören, doch der Hafen liegt nur noch wenige Minuten entfernt. Ich nehme die Segel runter, starte den Motor und bereite alles zum Anlegen vor. Wie immer habe ich etwas Angst, was das Platzangebot angeht, doch letztlich sollte es mir egal sein. Bislang hatte ich ja auch immer Glück, eine Box zu bekommen und wenn es irgendwann vielleicht doch mal nicht so sein sollte, dann kann ich immernoch irgendwie an einem Dalben festmachen und abwarten.

Ich schiebe alle unnötigen Gedanken beiseite und Blicke mich um. Ich bin in der Südsee angekommen. In der dänischen Südsee, dem sysfynske øhav. Acht Stunden war ich unterwegs. Flensburger Förde, Lillebælt. Wind und Welle. Wasser an Deck und Gischt im Gesicht. Acht Stunden in denen die See mich alles vergessen ließ, was mich viel zu oft beschäftigt und was ich in meinen Rollen nicht loswerde. Hier jedoch bin ich frei davon. Frei und einfach ich selbst.

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