4. August 2022
Abschluss

Mein Urlaub neigt sich langsam dem Ende. Über vier Wochen bin ich nun mit meinem kleinen Boot unterwegs gewesen. Einerseits war dies eine traumhafte Zeit, die ich an Bord meines Schiffes verbringen konnte. Schließlich konnte ich die ganze Zeit auf meinen Boot sein, da also, wo ich sein möchte, wo ich glücklich bin, wo es sich für mich nach zu Hause anfühlt und wo ich mich um so vieles wohler fühle, wie in den aus Ziegelstein errichteten vier Wänden, die sich wie schwere Mauern anfühlen und die mir keinerlei Geborgenheit vermitteln. Andererseits hat sich mein psychischer Gesundheitszustand zu Wort gemeldet und mir einen ordentlichen Strich durch die Rechnung gemacht und mich dieses Mal wirklich an meine persönlichen Grenzen gebracht. All das, was sich seit Jahren bereits angesammelt und aufgestaut hatte, der Stress, meine Rollen, das nicht vorhandene Sein. Die alleinige Verantwortung als Mutter, das Gefühl es immer allen recht machen zu müssen. Das schlechte Gewissen, wenn ich doch an mich selbst denke. Das hin- und hergerissen sein zwischen einem vermeindlichen Richtig und Falsch. Meine unerfüllten Träume, Wünsche und all die Hoffnungen. Die soziale Isolation der letzten Jahre und auch die Einsamkeit. Der Wunsch einfach nur sein zu dürfen und auch die Erwartungen an diesen Urlaub waren groß.

Es sollten die letzten gemeinsamen Ferien zusammen mit meinen drei Kindern sein und wir hatten einiges vor. Die Vorfreude war groß, die Erwartungen entsprechend. Ich wollte ihnen etwas bieten, neues entdecken, ein bisschen Abenteuer erleben, eine andere Form des Miteinander. Unbekanntes Gewässer befahren, Schwedens Schärenwelt kennenlernen, an Felsen festmachen. Lagenfeuer auf dem Stein machen und unter freiem Himmel schlafen. Die Jungs hatten sich darauf gefreut und Emma war motiviert, mit dem Boot mal woanders hin, wie nur immer nach Dänemark zu fahren. Stattdessen hatten wir jedoch Starkwind, waren viel zu lange gebunden an Häfen, die nicht wirklich bieten konnten, wonach jeder einzelne suchte und die permanten Hafentage schlugen einfach extrem stark auf mein Gemüt und brachten so das ohnehin bis zum Rand gefüllte Fass entgültig zum überlaufen.

Breakdown. Wie wenn eine Hülle nicht gefüllt ist, nicht angereichert mit dem, was Kraft und Stabilität verleiht, bin ich einfach in mir zusammen gebrochen. Depressionen und Angst, bis hin zur Panikattacke waren die Folge. Ich saß auf meinem kleinem Boot, dort, wo ich eigentlich immer so glücklich und zufrieden bin, doch ich konnte das, was mich umgab, nicht an mich heran lassen. Ich konnte es nicht aufnehmen. Ich war einfach unglücklich im Paradies.

Wenngleich nicht jeder Hafen meinem persönlichen Eldorado entspricht, so ist mir doch bewusst, dass meine Möglichkeiten immens sind und ich von purem Glück sprechen kann, all diese fantastischen und wunderbaren Momente und Situationen auf See und in den unterschiedlichen Häfen erleben zu dürfen. Doch wie hätte ich es Außenstehenden verständlich machen können, dass ich vollkommen leer und emotionslos war und nicht in der Lage zu fühlen und zu genießen und diese Welt meiner freien Tage mit allem Schönen, was mich umgibt, nicht an mich heran lassen konnte? Jede erste Reaktion an meine nach außen doch negativ klingenden Worte birgt beim Zuhörer doch den Gedanken der Undankbarkeit.

Doch nein! Undankbar bin ich nicht. Nur fällt es mir selbst schwer, zu akzeptieren, was ich aktuell in meinem Leben nicht wirklich ändern kann. Ich kann durchaus an mir arbeiten und versuchen das Leben, so wie es mir zur Zeit gegeben ist, als solches zu akzeptieren, ich weiß schließlich, dass ich nicht eines morgens aufwache und jemand anderes sein werde, doch die Dämonen all dessen, was einst war, was mich geprägt und zu dem Menschen geformt hat, der ich nach außen hin bin, kommen gelegentlich wieder und kämpfen mit der Person, die ich tief in meinem Inneren wirklich bin und der ich versuche endlich auch nach außen mehr und mehr Transparenz zu geben. Doch die Dämonen versuchen mich aufzuhalten auf meinen Weg zu mir selbst und der Kampf den ich tagtäglich still und leise in mir ausfechte, raubt gelegentlich die Energie, die ich brauche, um allem gerecht werden zu können.

Doch auch wenn ich aus verschiedenen Gründen heraus meinen eigenen Erwartungen nicht gerecht werden konnte und auch nicht immer anzunehmen in der Lage war, was mir in den unterschiedlichsten Situationen gegeben wurde, so muss ich rückblickend doch sagen, dass es trotz aller noch so widrigen Umstände ein Urlaub mit durchaus nicht wenigen wünderschönen Momenten war.

Heute bin ich in erneut in Faaborg und lasse vieles noch einmal Revue passieren. Die traumhaften Sonnenuntergänge mit ihren leuchtenden Farben, die wunderbar blaue Weite, die mystischen Flauten mit ihrer spiegelglatten See und die sich brechenden Wellen an den Hafenmolen, wenn ich nicht weiter konnte. Die Landschaft, die Atmosphäre, das wenige, jedoch wahrhafte Sein. Die Familienzeit an Bord, das gemeinsame kochen und Essen und die Gesellschaftsspiele im Salon an Regentagen. Die wenigen neuen Häfen, sowie die bekannten und vertrauten Steganlagen. Die Gespräche in Søby mit Leo und mit Freunden, die mich dort spontan besuchten. Und das Meer. Immer wieder diese wunderbare See. Diese tiefen Gewässer, die ich nicht wie die Flensburger Förde tagtäglich zu Gesicht bekommen kann und die eine so unglaubliche Sehnsucht in mir zu stillen in der Lage sind. Und nicht zu vergessen auch meine sieben, acht und neun Stunden Törns, diese fantastische und doch immer viel zu kurze Zeit auf dem Wasser. Doch. Es war schön. Trotz allem. Auch trotz meiner Niederlagen.

Es ist der letzte Tag meines Törns. Nein, eigentlich nicht wirklich, doch morgen werden wir wieder in der Förde und somit quasi zu Hause sein. Ein paar Tage früher, wie ursprünglich angedacht. Doch irgendwie sind alle durch und die Luft ist einfach raus. Emma ist bereits verabredet und freut sich auf ihre Freundinnen und ich verzichte freiwillig auf zwei weitere Tage an Bord. Sicherlich gibt es hier und da noch den einen oder anderen Hafen, den ich noch nicht kenne und gern anlaufen möchte, doch ich möchte mir noch einige neue Optionen in der dänischen Südsee für die hoffentlich kommenden Jahre bewahren. Die folgenden zwei Tage werde ich in der Förde segeln und mich so langsam auf die Zeit des Alltags einstellen. Fördesegeln ist Day- oder Weekendsailing, weshalb heute in Faaborg mein persönlicher Abschluss vom Urlaub ist.

Schon den ganzen Nachmittag über ertönen von irgendwo her Klänge und Gesang. Was ich anfangs für ein zu laut gestelltes Radio hielt, ist jedoch eine Live Performance im ansässigen Biergarten. Neugierig geworden schlendere ich über die Stege und höre zu. Zumeist einheimische Musik, doch hier und da auch was bekanntes auf englisch oder die Melodie eines deutschen Schlägers mit dänischem Text. Die Solosängerin sorgt für Stimmung und bis in dem späten Abend höre ich ihr aus der Ferne zu, bis um Mitternacht ihre angenehme Stimme verstummt und endgültig Ruhe im Hafen einkehrt.

Jetzt heißt es wieder Abschied nehmen. Anschied nun auch von der dänischen Inselwelt. Auch wenn sie im Sommer, schlicht wegen der Fülle an Booten, nicht mein bevorzugtes Segelrevier ist, so schmerzt es mich doch, sie verlassen zu müssen. Ich blicke mich um. Wieder und wieder sehe ich zu den unterschiedlichen Inseln. Fyn habe ich bereits hinter mir gelassenen und sehe nun nach backbord. Dort liegt Bjørnø mit seinem winzigen Hafen, der ähnlich wie Korshavn nur eine geringe Tiefe aufweist. Er steht noch auf meiner Liste für die kommenden Segeltörns. Steuerbord, in Dyreborg, war ich vor zwei Jahren schon ein mal. Ein kleiner und enger Hafen, in dem ich seinerzeit den letzten, wie für Findus gemachten Platz bekommen habe. Ich habe schöne Erinnerungen an diesen Hafen.

Weiter südlichöstlich gehts vorbei an Avernakø und dann kommt südwestlich Lyø in Sicht. Beide Häfen sind beliebte Ziele für unzählige Segler und meist vollkommen überlaufen. Vor drei Jahren, bei viel zu viel Wind war ich mit den Kindern mal auf Lyø und habe feinstes Hafenkino geboten. Warum ich damals bei über 20 Knoten überhaupt ausgelaufen bin, kann ich heute nicht mehr nachvollziehen, doch im Nachhinein war es ein geiler acht Meilen Ritt nur mit Genua und achterlichem Wind. Damals war der Hafen nicht belegt, doch heute, bei Flaute, sieht man einige in seine Richtung motoren.

Ich möchte segeln und hisse trotz des geringen Windes die Segel. Die wenigen Knoten des lauen Windzuges jedoch haben kaum einen Effekt und das weiße Tuch an meinem Mast bekommt einfach keinen Druck. Ich lasse mich also treiben und genieße dabei den Anblick der blauen See. Die meisten Boote um mich herum haben längst ihren Kurs in Richtung einer der Inseln genommen und nur einzelne Boote folgen meiner Route. In wenigen Meilen werde ich Skoldnæs an backbord passieren und nehme dann Kurs südwest, den kleinen Belt hinunter bis Pøls Rev, bevor es anschließend endgültig in die Flensburger Förde geht.

Der Lille Bælt. Beim ersten Mal vor fünf Jahren ein beinahe unüberwindbar breites Band zwischen den Inseln der Südsee und der Insel Als. Doch heute erscheint es mir wie ein Katzensprung. Rechts und links sehe ich das Land, doch vor mir und achterlich bekomme ich einen letzten Einblick in meine geliebte Weite.

Viele Segler mögen es nicht verstehen, doch der Anblick der Flaute fasziniert mich. Ich liebe diese Stille See. Das zarte Verschmelzen von Himmel und Meer. Die scheinbar endlose Zeit mit mir selbst. Das leichte Schaukeln auf meinem Boot fühlt sich an, wie sanft getragen zu werden. Geborgenheit mitten im Nichts. Hier draußen bin ich allein und doch bin ich es nicht. Das Aushalten meines Selbst, die Stille um mich herum und in mir drin, das Fühlen und Spüren dessen, was es mit mir macht, wenn ich ganz bei mir selbst bin, bringt mich Schritt für Schritt zu meinem eigentlichen Kern und somit immer ein Stückchen weiter an das, was ich für den Sinn des Lebens halte. Die Erkenntnis darüber, wer ich selbst bin und das Gestalten eines eigenen Weges zum inneren Glück.

Mein Schiff dümpelt vor sich hin. Steht auf der Stelle und kann seinem Element im Augenblick nicht folgen. Auch ich fühle mich im Stillstand. Komme aktuell in meinem Leben nicht wirklich voran und warte auf meine persönliche Freiheit. Sie wird kommen, dessen bin ich sicher, doch ich muss geduldig warten, bis der Zeitpunkt kommen wird. Ähnlich wie auch mein Schiff unermüdlich darauf wartet, bis der Weg aus der Flaute ein Segeln wieder möglich macht.

Wind kommt auf und es lohnt sich endlich zu segeln. Nicht rasend schnell, doch ich komme mit viereinhalb Knoten gut voran. So hätte es gern den ganzen Urlaub über sein dürfen. Sonne, eine leichte Bewölkung, wenig Welle und eine angenehme Brise. Perfekte Bedingungen. Doch wann ist das Leben schon perfekt?

Hier draußen lebe und liebe ich nicht nur, hier draußen lerne ich auch. Die See ist dabei der beste Lehrmeister, denn es gibt hier keine Ausflüchte, keine Ausreden und kein Abwelzen der eigenen Defizite auf andere. Hier draußen lerne ich fürs Leben. Für mein ganz eigenes Leben und ich merke dabei, dass ich mir eines stärker bewusst machen muss. Nämlich die Tatsache, mein Leben so zu nehmen, wie es kommt und meinen Frieden mit dem zu schließen, was ich ohnehin nicht in der Lage bin zu ändern. Der Kampf gegen Windmühlen raubt nur unnötig Energie und wie schon erwähnt, habe ich nur dieses eine Leben und muss daraus, auch mit all seinen Tiefen, den bestmöglichen Weg für mich persönlich finden. Ich weiß dabei, dass ich noch einige dunkle und tiefe Täler durchlaufen werde, doch ich weiß auch, dass nach jedem Tal ein Hoch kommt und auch der noch so beschwerlich scheinende Weg im Laufe der Jahre leichter werden wird.

Die Förde begrüßt mich mit dunklen Wolken und für einige Momente bin ich mir nicht sicher, ob ich trocken im Hafen von Høruphav ankommen werde. Mit Wetterkunde muss ich mich definitiv noch intensiver beschäftigen, um aus den Wolken lesen zu können. Doch ich habe Glück und das Dunkel zieht backbord an mir vorbei, während mein Kurs nach steuerbord führt.

Høruphav ist in der Vor- und Nachsaison ein wirklich schöner Hafen, doch im Sommer ist es hier voll. Deutsche Sgeler tummeln sich in Scharen auf großen Yachten und der Lärmpegel ist hier so groß, wie in kaum einem anderen Hafen. Die eigentliche Romantik wird hier aber leider nicht nur durch laute Menschen, sondern auch durch überteuerte Preise gedämpft. Kleine Boote haben scheinbar keine Daseinsberechtigung mehr, denn ich zahle mit nicht einmal acht Metern den selben Preis wie Boote mit elf Metern Länge. Wie viele Personen an Bord sind und die Hafenanlagen nutzen, spielt dabei keine Rolle. Auch das neuerdings die Hafenmarke mit dem Schiffsnamen personalisiert wird, hinterlässt bei mir einen eher unangenehmen und kontrollorientierten Eindruck. Wo sind die Ehrlichkeit und das Vertrauen geblieben? Die friedvolle Stille, die ich in Korshavn erleben durfte, ist hier in der Tat Meilenweit entfernt.

Die letzten Meilen geht es nach Marina Minde. Neben Søby mein meistbesuchter Hafen in meiner sechsjährigen Laufbahn. Der langsame Weg in die Förde ist wie ein sachtes Herantasten, wie ein langsames Ankommen dort, wo ich eigentlich nicht sein möchte. Doch ich nehme meine Erinnerungen mit. All die wunderbaren Erinnerungen, die ich mir selbst geschaffen habe und die ich niemals missen möchte. Und auch wenn ich nicht so weit gekommen bin, wie so manch anderer Segler, auch wenn ich mir meine Träume auch in diesem Jahr nicht erfüllen konnte und manchmal neidvoll auf die Bilder von Freunden und Bekannten sehe, so erfüllt es mich dennoch mit Stolz, welch wahnsinnigen Mut ich tagtäglich für mein Leben in all seinen Facetten aufbringe.

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