6. August 2023
Am Ende bleiben Tränen

Der Tag ist grau. Trostlos wirkt er heute und auch die Sonne schafft es einfach nicht wirklich, sich ihren Weg durch den Wolkenschleier zu bahnen. Ihr Licht scheint heute nicht so hell, wie an den letzten Tagen und ihre Kraft ist stark gedämpft. Fast könnte ich meinen, sie wolle sich mir anpassen. Auch in mir lodert heute keine Flamme und mein persönliches Leuchten ist überdeckt vom Schatten dessen, was mich erwartet. Heute geht es zurück in die Förde. Zurück nach Flensburg.

Es wird ein langer Tag werden und die angesagte Flaute bleibt zum Glück vorerst aus. Gegen neun Uhr verlasse ich schweren Herzens die Marina von Faaborg und setze draußen direkt die Segel. Es ist ein bedrückendes Gefühl. Die Freude an Bord und auf dem Wasser zu sein, kann sich nicht richtig einstellen und das beklemmende Gefühl, mich selbst erneut aufgeben zu müssen, nagt an mir. Ich schweige. Innerlich.

Findus tut derweil das, was er immer tut. Er rauscht und rennt durch die See und versteht dabei nicht, dass dieser Törn ihn zurück in den Heimathafen bringen wird und er dort wieder für längere Zeit in seiner Box stehen muss ohne seinem eigentlichen Element frönen zu können. Ein Schiff gehört doch auf See und nicht eingepfercht und angebunden an Pfähle. Mir ist sehr wohl klar, dass ein Schiff von den meisten Menschen als lebloser Gegenstand betrachtet wird. Künstliche Materie, zusammengebaut, um einzig einen Zweck zu erfüllen. Doch wer mich kennt, der weiß, ich sehe das anders. In meinen Augen hat Findus eine Seele. Mein Schiff und ich sind ein Team und geben einander was wir brauchen. Wir sind füreinander da und wissen um die Stärken und Schwächen des anderen. Es ist letztlich nichts anderes, wie in einer gut funktionieren Partnerschaft. Liebe und Akzeptanz. Wohlwollen und Füreinander.

Ich blicke innerlich zurück auf die vergangenen drei Wochen. Schön war es. Nicht immer so wie erhofft und insbesondere am Anfang nicht ganz so einfach. Doch ich habe Wege gefunden. Meine Tochter ist zurück nach Hause gefahren und konnte so ihrem Alter entsprechend chillen und nix tun. Für sie das Paradies, für mich absolut unvorstellbar. Doch so waren wir beide zufrieden und konnten jeder für sich so sein, wie das Innere Gefühl es verlangt. Ich war frei. Frei von Zweifeln, frei von unliebsamen Verpflichtungen und frei von auferlegten und konditionierten Rollen, denen sich zu entziehen auch in einer modernen Gesellschaft wie der unseren kaum möglich ist. Ich war einfach ich selbst. Der Mensch, der tief in mir drin schlummert und viel zu selten die Chance auf sein echtes Sein bekommt.

Ich habe Tränen geweint. Tränen des unsagbaren Glücks, eine derartige Freiheit spüren zu dürfen. Die überwältigenden Gefühle sind in mir übergesprudelt und haben eine unausprechliche Lebensenergie freigesetzt. Was für ein Wahnsinn, was es mit mir macht, wenn ich angekommen ganz nah bei mir selbst sein darf. Und Wahnsinn auch, dass mein kleines Boot und das Segeln mir genau dieses Gefühl in der Lage sind zu geben.

Auch jetzt spüre ich warme Tränen auf meinen Wangen. Unwillkürlich bahnen sie sich ihren Weg und ich kann nichts dagegen tun. Ich lasse sie zu, lasse somit auch dem Gefühl der Traurigkeit seinen freien Lauf. Die Tränen schmecken salzig und überziehen mein Gesicht in diesem emotionalen Moment mit ihrer Feuchtigkeit. Auch Findus ist übersät vom Salz. Das Salz des Meeres, welches mit der Gischt an Bord gespritzt wird.

Jetzt heißt es runter fahren. Die dänische Südsee verlassen und den Lillebælt queren. Noch einmal nach Norden sehen. Abschied nehmen. Abschied von einer schönen Zeit, die mir Mithilfe meiner Bilder und Worte in Erinnerung bleiben wird.

Und trotz meiner heute vorherrschenden Traurigkeit ist dieser Törn seglerisch ein voller Erfolg. Findus gibt alles und schafft es so, mich aus meiner kurzzeitigen Lethargie herauszuholen. Was für ein verdammt tolles Schiff. Findus, du bist einfach der Größte!

Mit erreichen der Außenförde erreiche ich auch das heimische Gewässer der Flensburger Förde. Der Leuchtturm Kalkgrund ist dabei für mich soetwas wie ein Wendepunkt. Wenn ich ihn von Westen aus erblicke segle ich meinem Glück entgegen. Ein Leuchtfeuer in die Freiheit also. Doch heute komme ich aus Nordost.

Auch die Förde versucht mir mein Zurückkommen zu versüßen. Ungerefft und mit siebzehn Knoten Wind aus Nordost rast Findus mit Werten über sechs Knoten an den wenigen Booten vorbei, deren Kurs ebenfalls fördeeinwärts führt. Ich lasse eine Albin Ballad mit drei Mann Besatzung hinter mir und kreuze der fünfköpfigen Crew einer Hanse 325 davon.

Findus weiß genau, was ich wann brauche und auf der Zielgeraden geht es mir gleich wieder ein wenig besser. Ich weiß, ich werde es schaffen. Ich werde mich einfügen in das unliebsame Getriebe des Hamsterrades, doch ich werde meine Ziele nicht aus den Augen verlieren und die Hoffnung niemals aufgeben.

440 Seemeilen habe ich in drei Wochen gemacht. 88 Stunden war ich insgesamt auf dem Wasser unterwegs. Ich bin zwei neue und mir bislang unbekannte Häfen angelaufen und habe viele altbekannte Marinas zum wiederholten Male besucht. Unterwegs habe ich Freunde getroffen und nette Gespräche geführt. Habe mich selbst gespürt und konnte sein. Ein wunderbares Geschenk habe ich mir selbst damit gemacht und nun werde ich versuchen mich erneut einzufügen in eine Welt, in der ich mich nicht wirklich zuhause fühle.

2 Kommentare

  1. Liebe Marion,
    du weißt, dass ich deine Art zu schreiben, deine Fähigkeit, Gefühle auszudrücken, Dinge zu umschreiben, mag.
    Es sind deine Gedanken, Emotionen, Ansichten zu bestimmten Dingen. Nicht immer stimme ich dir innerlich zu aber das ist ja auch nicht dein Ziel, dass alle Leser Dinge genauso empfinden wie du. Es geht ja hier um dich und deine Leidenschaft, das Segeln.
    Aber ein Satz hat mich etwas traurig werden lassen, nämlich dass aus deiner Sicht…. „ein Schiff von den meisten Menschen als lebloser Gegenstand betrachtet wird….“
    Mit dieser Formulierung gibst du mir das Gefühl, dass mehr oder weniger nur du, bis auf einige Ausnahmen, die Seele eines Schiffes zu schätzen weiß.
    Diese Formulierung macht mich etwas traurig und hat mich tatsächlich etwas verletzt. Ich kenne einfach zu viele Menschen einschließlich mich selbst, die mit ihrem Schiff seelisch auch derart verbunden sind.
    Deine Fotos sind immer wieder schön und beruhigend.

    Antworten
    • Liebe Katrin,

      Vielen lieben Dank für dein Feedback.

      Ich erhebe bei weitem nicht den Anspruch für mich, zu glauben nur ich würde so über mein Schiff denken und derart fühlen. Ich kenne einige, die ähnlich, oder auch genauso, für ihr eigenes Boot empfinden und ich fühle mich diesen Menschen stark verbunden.
      Es gibt jedoch auch jene, deren Worte des Unverständnis‘ mich bereits auf unterschiedlichen Wegen erreicht haben. Aber ich kenne natürlich nicht alle Menschen da draußen und kann nur aus meinen persönlichen Erfahrungen berichten.

      Es liegt mir fern jemanden verletzen zu wollen und wenn du zu jenen gehörst, die ähnlich denken und fühlen, dann finde ich das großartig und freue mich für dich, dass du ein ebenso schönes Gefühl für dein Boot empfindest. Und das gilt natürlich auch für jeden anderen, der sich emotional verbunden fühlt.

      LG Marion

      Antworten
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