19. Mai 2023
Dankbarkeit

Wie so oft im Leben kommt es einfach ganz anders als ich es mir erhofft habe. Ein paar Tage frei, gute Laune, Motivation. Die Vorräte sind gebunkert und irgendwie habe ich auch so eine innere Not endlich ein bisschen aus der Flensburger Förde raus zu kommen. Tagtäglich checke ich also die Windapp und hoffe darauf, dass Rasmus wenigstens an diesen paar Tagen, an denen ich frei und die Möglichkeit weg zu kommen habe, einigermaßen mitspielt und es nicht allzusehr übertreibt. Doch der Wind denkt nicht einmal im Traum daran gnädig zu sein. Er fegt mit bis zu über 30 Knoten daher und pustet seinen kalten Atem in den Mai, wie es ihm gerade passt. Er nimmt dabei keinerlei Rücksicht auf meine freien Tage. Und auf die all der anderen hoffenden und mit den Füßen scharrenden Segler auch nicht. Nur einige wenige sind mit ihren meist großen Yachten unterwegs und kämpfen sich durch ungemütliches Wetter. Ich hingegen sitze im Hafen und versuche meine Positivität nicht zu verlieren und mich stattdessen mit anderen Dingen zu beschäftigen.

Heute endlich, wo der Wind sich vollständig ausgetobt hat, komme ich los. Doch meint der Wind nun auf einmal, gar nicht mehr wehen zu müssen. Kaum ein laues Lüftchen was noch weht und kaum ein frischer Hauch, der mich auf meinem Boot voran bringen könnte. Sicherlich auch meinem in diesem Jahr noch nicht gemachten Unterwasserschiff geschuldet, stehe ich auf der Stelle und habe keine Freude an dem, was ich hier gerade mache. Findus reagiert einfach nicht. Mein Schiff dreht bockig seine Pirouetten und lässt sich dabei nur schwer bändigen. Während die meisten Segler um mich herum immerhin langsam voran kommen, kämpfen Findus und ich darum, die Nase überhaupt in Richtung Kurs zu bekommen. Es macht absolut keinen Spaß. Von Entspannung und wohligem Segeln ganz zu schweigen. Im Gegenteil. Es nervt einfach nur.

Sie ärgert mich, meine Nachlässigkeit in Sachen Bootspflege. Findus scheint offensichtlich enttäuscht und seine Bockigkeit ist unumstritten und vollkommen berechtigt. Ich hätte meinem Schiff insbesondere untenrum längst mehr Aufmerksamkeit und einen neuen Anstrich verpassen müssen, doch ich war zu faul. Erst war ewig lange Zeit kaltes und schlechtes Wetter, dann knickte meine Motivation ein und am Ende fiel der Slipmeister wegen persönlicher Sorgen aus. Mit etwas Glück bekomme ich nun im Juni die Chance, Findus einigermaßen günstig an Land zu bekommen. Sonst werde ich ggf. wohl tief in die Tasche greifen müssen, um meinem Schiff die Pflege zukommen zu lassen, die es eigentlich verdient.

Es hat heute einfach keinen Sinn. Ich berge nur drei Meilen nach Verlassen meines Liegeplatzes leicht gefrustet die Segel und entschließe mich statt zu segeln spontan zu ankern. Weit käme ich bei diesem lauem Wind ohnehin nicht, auch wenn mein Verlangen nach der offenen See und dem damit einhergehenden Gefühl von absolutem Sein mich schier aufzufressen droht. So gern möchte ich raus. Wirklich raus. Möchte den Kalkgrund hinter mir lassen, über den kleinen Belt und rüber ins sysfynske øhav. Ich vermisse die dänische Südsee mit ihren idyllischen Inseln und hatte gehofft im diesem Frühjahr ein wenig Zeit in einigen ihrer kleinen Häfen verbringen zu können, bevor der große Boom im Sommer wieder losgeht und die Liegeplatzsuche die Leichtigkeit des Ankommens beschneidet.

Es nützt wohl nichts, auch wenn meine Sehnsucht mich heute extrem quält und ich Mühe habe, dieses Gefühl und die aufkeimende Traurigkeit im Zaum zu halten. Zu viele Baustellen schwirren aktuell oder einfach auch noch immer in meinem Kopf herum und das Loslassen dessen, was ich nicht auch nur annähernd in der Position bin ändern zu können, fällt mir noch immer nicht ganz so leicht. Mir ist klar, ich muss kontinuierlich weiter an mir arbeiten, um das Hier und Jetzt mit all seinen Möglichkeiten und schönen Momenten zu leben. Besonders aber muss ich jenen Themen in meinem Leben, die ich nicht in der Lage bin zu verändern oder abzustellen, eine andere und teilweise auch weit geringere Bedeutung zukommen lassen und genau deshalb gehe ich emotional in mich und atme tief durch. Das Hier und Jetzt hat nämlich auch seinen Reiz und wenn ich genau darüber nachdenke, dann schäme ich mich sogar ein ganz klein wenig dafür, dass ich meinen mir selbst geschaffenen Luxus bereits in Frage stelle ohne ausgiebig von ihm gekostet zu haben.

Ich habe Glück, denn eine der Ankerbojen der Danske Tursejler in der Innenförde ist frei und ich kann ohne große Mühe einfach festmachen. Langsam nähere ich mich dafür der kleinen gelben Tonne und greife flink nach dem weit aus dem Wasser ragenden Auge, durch das ich meine vorbereitete Vorleine ziehe, um diese anschließend an der Klampe an Deck zu belegen. Fest. So schnell. So einfach. So sauber. DT und DS Bøjer sind in ganz Dänemark zu finden und der Mitgliedsbeitrag für deren Nutzung ist so verschwindend gering, dass ich gern bereit bin, hier meinen kleinen Obolus zu zahlen 

Ruhe. Sonne. Alleinsein. Genau das ist es, was ich jetzt für mich brauche. Faul sein, lesen, in gewisser Hinsicht meditieren. Meine Gedanken zulassen, ihnen begegnen und sie anschließend wieder ziehen lassen. Annehmen was ich nicht ändern kann und darüber hinaus genießen was ich habe. Ein Leben nämlich, das so spannend und vielfältig, so emotionsreich und bereichernd ist. Es wirft immer wieder neue Fragen auf und hin und wieder braucht es Zeit um zu verstehen und neue Erkenntnisse verinnerlichen zu können. Dafür braucht es auch diese Stille, in der kein Außen mich ablenkt. Doch bei allem nach rechts und links blicken, spüre ich immer wieder die Richtigkeit in dem, wie ich mein Leben gestallte.

Vor noch einem Jahr konnte ich diese Stille ausschließlich auf See, nicht jedoch vor Anker wirklich genießen und schon gar nicht als Quell der Kraft für mich spürbar machen. Ich hatte einfach keine innere Ruhe und war zu sehr auf der Suche nach etwas, was nur in mir selbst zu finden war. Die entstehende Energie des bewussten Nichtstun zu spüren und auch in mich aufnehmen zu können oblag bislang ausschließlich dem Blick in die wunderschöne Weite des Meeres. Das Blau in der Ferne, dort wo Himmel und Wasser in sich verschmelzen entspricht in etwa meinem Gefühl mit mir selbst Eins zu werden.

Spiegelglatt liegt das Wasser nun da und immer weniger weiße Segel sind auf dem kleinen Blau der Flensburger Innenförde zu sehen. Es tat gut den Nachmittag über allein zu sein, doch jetzt wird es Zeit den Ankerplatz zu verlassen und in dem Hafen zu fahren. Die Maschine rattert. Doch mein Kurs geht nicht zurück. Ich fahre für heute Nacht nach Nordosten. Noch immer mit dem kleinen Funken der Hoffnung am kommenden Tag einen kurzen Blick auf die See jenseits des Kalkgrunds werfen zu können.

Während der kurzen Strecke unter Maschine schleichen sie sich wieder hinein, die allgegenwärtigen Fragen mit denen mein Gewissen sich wieder und wieder auseinandersetzt. Wie viel eigenes Sein ist eigentlich erlaubt? Wo beginnt die fremdbestimmte Anpassung und wo liegen die Grenzen zum nicht mehr tragbarern Egoismus? Wer entscheidet über mein persönliches Wohlempfinden und in wessen Hand liegt mein eigenes Wachstum? Wie viel Selbst umfasst die seelische Gesundheit und wo liegen dabei die Grenzen der gesunden Freiheit aller Beteiligten? Am Ende hilft es schließlich niemanden, wenn ich lediglich als ein emotionsloser Schatten meiner selbst versuche ein Leben zu leben, was nicht das meine ist.

Ich möchte heute nicht mehr nachdenken. Möchte mich nicht innerlich rechtfertigen dafür, dass ich einem winzigen Teil meiner Sehnsucht folge. Nein, ich tue es einfach und genieße dabei den Moment des untergehenden Sonnenlichtes am Abend und laufe nach kurzer Zeit vollkommen entspannt und zufrieden mit mir selbst im Hafen ein.

Die Außenförde erreiche ich auch am folgenden freien Tag nicht mehr, doch ich merke so langsam, ich bin dabei etwas ganz anderes, etwas großes und für mich erfüllendes und ebenfalls bedeutendes zu erreichen. Mit meinem Sein nämlich erreiche ich Menschen. Menschen die ähnlich fühlen, die ähnlich denken. Menschen, die ich zu inspirieren vermag, die mir ihr Vertrauen schenken und die durch meine Worte Mut fassen. Menschen, die ihre eigene und ganz persönliche Geschichte mit mir teilen und auf die ebenso wie auf mich noch eine lange und wunderschöne Reise durch ihr eigenes Leben und auf dem Meer wartet.

Ich danke euch da draußen für euer Vertrauen und die damit einhergehende Wertschätzung. DANKE

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