12. Juli 2022
Emotionale Leere

Wir wollen früh weiter. Das Ziel ist noch nicht klar definiert, doch sicher ist, dass es nördlich an Æbelø vorbei geht, weiter Richtung Osten und dann hinter Fynshoved nach Süden. Glücklich bin ich mit der Entscheidung nicht, doch eine andere Möglichkeit sehe ich auch keine. Zu viel Wind, Flaute und wieder zu viel Wind. Wir haben immer nur diese kleinen Fenster und der tägliche Blick auf die Wetter App verrät mir, wie weit wir in etwa kommen können und wo wir dann wieder für einige Tage pausieren müssen, bevor das Hoffen auf ein weiteres Zeitfenster eine Weiterfahrt möglich macht.

Der Hafen von Juelsminde erwacht gerade erst, wie ich bereits gegen kurz nach sieben Uhr am Morgen meinen Motor starte und ablege. Ich bin voller Euphorie und freue mich auf diesen langen Schlag. Endlich einmal kein Starkwind und keine anrollende Seitenwelle.

Im Gegenteil, draußen verspricht es ein wunderschöner Tag zu werden. Blauer Himmel und Sonne, tiefblaue See und ein zarter Windhauch geben mir ein winziges bisschen Hoffnung. Worauf? Einfach auf diesen Tag. Auch wenn es nicht der Weg ist, den ich eigentlich einschlagen möchte, so bin ich dennoch unterwegs und das Offene, das Weite, das scheinbar Unendliche liegt vor mir. Letztlich ist es doch genau das, was ich möchte, wonach mein Herz verlangt. Diese Atmosphäre der Stille, des Seins. Boote sind kaum zu sehen und tauchen nur in weiter Entfernung vereinzelt mal auf. Hier oben ist der Freizeitverkehr unter Seglern nicht so eng wie auf der Förde oder in der dänischen Südsee. Hier begegnet einem kaum jemand und ich kann mein Schiff einfach laufen lassen und dabei in meine Träume versinken. Träume, die durch das Bild, welches sich mir hier bietet, wie ganz von allein vor meinem inneren Auge entstehen. Es sind diese ewigen kleinen Geschichten. Abenteuer, Romantik, Fantasie.

Genau so könnte es jetzt ewig weitergehen und am liebsten möge es nie wieder enden. Es ist einfach so schön. So unfassbar schön. Diese Ruhe, diese Idylle. Im Morgentau lässt die Sonne das vom Vortag durch die Gischt hinterlasse Salz auf meinem Deck glitzern und die Farbe meines Bootes, die durch dieses Licht hervorgetragen wird, ist unbeschreiblich malerisch. Man muss es mit eigenen Augen gesehen haben, um die Tiefe dieser paradiesischen Situation zu spüren.

Das Segeln gebe ich bereits nach nur wenigen Meilen allerdings wieder auf. Es gibt einfach zu wenig Wind. Alles unter zwei Knoten rentiert sich auf Strecke einfach nicht und ich muss sehen, dass nicht nur mein eigenes Sein Befriedigung findet, sondern auch, dass ich voran komme. Der nächste Hafen ist weit und wie so oft treibt mich in meinen Hinterkopf die nervige Angst, keine freie Box im Hafen mehr zu finden. Wirkliche Entschleunigung und die damit verbundene Entspannung, kann sich so nur kurz und nicht wirklich zielführend einstellen. Dennoch versuche ich genau diese Momente an mich heran zu lassen, sie zu genießen und in mich auf zu nehmen. 

Doch es gelingt mir heute nicht wirklich. Ich blicke in die Ferne und sehe dieses traumhafte Nichts, doch es berührt mich nicht. Alles ist leer. Eine unangenehme und bleierne Leere lastet auf mir. Ich kann einfach nichts empfinden. Wie kann das möglich sein? Mein Herz ist schwer und nicht ein Funke des altbekannten und so sehr herbei gesehnten Gefühls regt sich in mir. Alles worauf ich mich gefreut hatte, will sich einfach nicht einstellen und ich bin nicht in der Lage diesen kostbaren Moment als solchen zu genießen. 

Ich weiß, das was ich vor mir sehe, wahrhaftig und in seiner vollendeten Schönheit, ist eigentlich genau das, was mich mit Leben und Liebe erfüllt, doch im Augenblick erscheint es mir einfach nur grau und sinnlos. Ich kann mich nicht einlassen auf das, was mir so unendlich viel bedeutet.

Ich schweige. Meine Gedanken verstummen. Stille. Eine erdrückende Stille. Nicht die Stille, die mich sonst so erfüllt und aus der ich Energie schöpfe. Nein, es ist eine unangenehme und kraftzerrende Stille, die mir beinahe die Luft zum Atmen nimmt. Darf ich das so schreiben? So viel Dunkel? So viel Kraftlosigkeit? So viel von dem, was gemeinhin als Negativität empfunden wird?

Klingt es nicht verdammt undankbar? Ich bin doch hier draußen, auf meinem eigenen kleinen Schiff, auf meinem eigentlich Zuhause. Ich habe Zeit, bin in Urlaub und quäle mich nicht durch irgendeinen Alltagsstress. Ich bin da, wo ich mich im Normalfall wohl und geborgen fühle. Ich bin weit draußen und umgeben von dem, was mich sonst so tief bewegt und mich mir selbst näher bringt. Wie kann da so rein gar nichts empfinden? Ich schäme mich. Schäme mich für meine Undankbarkeit.

Ich blicke mich wieder und wieder um. Umgeben vom Nichts suche ich den Funken, der das Feuer in mir entfacht und mich zum Leben erweckt. Soweit das Auge reicht ist es ja da. Dieses schöne und wunderbar leuchtende Nichts, was mir heute jedoch keinerlei Erfüllung bringen will.

Meine Gedanken erschrecken mich zutiefst und ich merke, wie das schwarze Monster, was mich gelegentlich heim sucht, Besitz von mir ergriffen hat. Ich möchte das nicht, doch ich habe keine Wahl, denn ich habe keine Kraft und keine Energie mehr, dieses Dunkel beiseite zu schieben und ergebe mich. Ich nehme es an und kann nur hoffen, dass es mich nicht allzu lange befallen wird.

Emotionslos halte ich dennoch fest was meine Umgebung an Schönheit zu bieten hat. Denn auch wenn es mir hier und heute nicht möglich ist, mich darauf einzulassen, so möchte ich den Anblick dessen, was mich umgibt nicht missen. Alles andere, was sich jenseits der  strahlende Weite erstreckt, bleibt mir indess auch in diesem Jahr verborgen und die dort lauernden Geheimnisse und Abenteuer bleiben weiterhin ausschließlich Gegenstand meiner persönlichen Träume und Hoffnungen. 

Vorbei an Fynshoved geht es jetzt nach Süden. Ich kann nicht klar denken und habe keinerlei Idee wo ich nun hin möchte. Meine Vorstellungen dessen, was ich in den nächsten Wochen gern täte kollidieren mit den Windprognosen der kommenden zehn Tage. Egal was ich mir ausmale, welche Route in Frage kommen könnte, immer gibt es ein treffendes Gegenargument, weshalb dieser oder jener Kurs oder Hafen doch eher ungeeignet zum Abwettern ist oder im weiterem Törnverlauf nicht passt.

Auch muss ich mich irgendwie ja doch mit meinen Jungs auf Lille Bjørn absprechen, deren beider Ideen bereits nicht immer auf einen Nenner kommen. Unterschiedliche Vorstellungen, nicht ausreichende Kommunikation und letztlich sicher auch meine desolate Stimmung, führen uns für eine Nacht mit beiden Booten in den aus meiner Sicht unattraktiven Hafen von Kerteminde.

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