6. Juni 2022
Emotionale Pfingsten

Raus. Ich muss raus. Ich halte es nicht mehr aus, eingesperrt in der Wohnung zu sein. So kommt es mir zumindest vor. Immer nur diese vier Wände. Immer der selbe Anblick. Der ewig währende Lärm unzugänglicher Nachbarn. Diese fremden Menschen in den Wohnungen neben und unter mir, deren Lebenseinstellung und Weltanschauung jenseits all dessen liegt, was die aktuelle weltpolitische und soziale Verantwortung zwingend erfordert, rauben mir den Glauben an eine hoffnungsvolle Zukunft.

Auch der permanente Arbeitsalltag, vollzogen in meinen eigenen vier Wänden, zermürbt mich zusehends. Ich brauche dringend Abstand. Zu allem. Möchte nur endlich mal ein paar Tage raus kommen und mich selbst wieder wahrnehmen. Ich mochte dahin, wo ich glücklich sein kann. Dorthin, wo sich das wohlige Gefühl des Seins in mir einstellen kann und ich spüre, das ich noch lebe. Kraft habe ich kaum noch, denn eine nervige Depression saugt mich förmlich aus.

Doch ich bin mir bewusst, was mir zumindest ansatzweise hilft, aus meinem Tief heraus zu gelangen und so zwinge ich mich selbst, endlich mit meinem Boot los zu kommen. Als alleinerziehende Mutter einer pubertieren Dreizehnjährigen muss ich um dieses elementare Grundbedürfnis jedoch kämpfen. Es zerrt zusätzlich an mir. Doch es geht irgendwie ums eigene (Über)Leben. Ich MUSS raus. Gezeter und Wortgefechte gehen dem Aufbruch ins Wochenende voran. Die Stimmung ist getrübt, doch es nützt nichts. Meine Tochter ist zu jung, um das ganze Wochenende allein zu verbringen. Nicht jedes Kind hat das Glück nach der Trennung der Eltern die väterliche Gunst weiterhin zu bekommen. Ein weiterer Punkt auf der Konfliktliste und ein ewiges Dilemma.

Freitag, Feierabend. In Windeseile geht es zum Hafen und ich lege direkt ab. Ich habe Angst davor zu lange zu überlegen und muss dieses winzige Stimmungshoch, diesen Hoffnungsschimmer, nutzen.

Langsam komme ich runter. Ich atme tief durch und versuche meine dunklen Gedanken Stück für Stück beiseite zu schieben. Es gelingt mir nur bedingt, doch das Segeln tut mir gut. Der Wind weht schwach, die Segel stehen. Der Weg ist das Ziel und mit unter zwei Knoten Fahrt im Boot genieße ich mein Schiff. Meine Tochter hat derweil beschlossen mich zu ignorieren und nicht mehr mit mir zu sprechen und ist auf wirre Zeichensprache, gemischt mit bösen Blicken umgestiegen. Mir ist das recht und ich nehme die Stille dankbar in mich auf.

Auf der Auẞenförde nimmt der Wind leicht zu und ich kreuze einen langen Schlag von der Schwiegermutter bis kurz vor die Hafeneinfahrt von Langballigau, um dann den direkten Kurs auf den Zielhafen in Høruphav zu steuern. Der Wind ist auf meiner Seite und Findus tut ein Mal mehr das, was er am besten kann. Mein Boot fliegt förmlich mit Seitenwind über das Wasser und macht dabei durchgehend über sechs Knoten Fahrt. Das berauschende Gefühl des Glücks scheint sich zaghaft einzustellen und ich vergesse für einen kurzen Moment alles um mich herum und spüre meinen inneren Kern. Ich bin. Ich scheine tatsächlich noch zu leben.

Der nächste Tag beginnt trüb. Zumindest was das Wetter betrifft. Das tiefe Blau des Vortags ist zu einem tristen Grau geworden. Die Nacht war frisch und ließ mich einige Male wach werden. Dennoch war diese Nacht eine der erholsamsten seit langem und mit ihr kam auch die Lust auf das Leben an Bord ein kleines Stück zurück. Gemütlichkeit und Minimalismus sind es, die mich hier auf meinem Schiff zufrieden stellen. Ich brauche nichts. Kein unnötiger Plunder, wie er in jedem Wohnzimmer herum steht. Kein übertriebenes Maß an Luxusgütern und dafür lieber alles in greifbarer Nähe. Das Einfache ist es, was mich glücklich macht.

Die Wetteraussichten lassen kein verlängertes Wochenende zu, denn in zwei Tagen, am Pfingstmontag, wird es windig und den ganzen Tag über soll es regnen. In Anbetracht dessen, dass mir nur zwei Tage bleiben, beschließe ich keine großen Sprünge zu machen und stattdessen lieber auf der Außenförde zu bleiben und jenseits der Ansteuertonne ein bisschen Ostseeluft zu schnuppern.

Heute wird es schön, auch wenn der Himmel aktuell noch etwas anderes sagt. Die Sonne tut ihr Bestes das Grau beiseite zu schieben und hier und da vergrößern sich die blauen Flächen am Himmel. Wir dümpeln mehr, als das wir segeln. Doch das ist ok. Ich bin draußen auf See, an Bord. Das ist alles was zählt. Schiffe ziehen an mir vorbei. Segler, die unter Maschine Kurs auf den kleinen Belt nehmen. Die dänische Südsee wird wohl ihr Ziel sein. Wer dort früh ankommt, bekommt noch einen Platz auf einer der begehrten Inseln. Wie schön wäre es, wenn ich wenigstens auch bis dorthin kommen könnte.

Ein ganzer Schwung fährt auch nach Süden. Ihre Segel werden jedoch viel zu schnell kleiner, was verrät, dass auch sie mit Hilfe der Motorkraft das Segeln nur vorgeben. Einen Kegel zur Erkennung der Maschinenunterstützung zeigt keiner an diesem Morgen und ich frage mich, warum Menschen etwas vorgeben, was in Wahrheit nicht den Fakten entspricht.

Ich stehe jetzt allein mitten auf dem Wasser. Weit genug vom Land entfernt und ohne Boote um mich herum. Es ist so schön. So verdammt schön. Mein Herz klopft und es sprudelt in mir. Hier draußen lebe ich. Hier draußen scheint das Glück perfekt. Doch nur kurz, denn die Erkenntnis darüber, diese unsagbare Schönheit mit niemanden teilen zu können nagt an mir. Wem ich auch vorher oder nachher von meinen Gefühlen und Gedanken auf See erzähle, ich fühle mich unverstanden. Ein Nicken, eine Zustimmung, eine Bestätigung, das finde ich oft. Doch die wirkliche Tiefe des Gefühls fehlt.

„Glück ist nur perfekt, wenn man es teilt“ Doch Glück kann man nicht mit jedem teilen. Die unsichtbare und nicht rationale Bindung zwischen Menschen ist etwas Sonderbares. Gefühle sind nicht erklärbar und so komplex, dass ein Analysieren oder Verstehen ihrer Natur kaum möglich ist. Ich kann mit Worten umschreiben was ich sehe, kann im Bild festhalten, was mich berührt und kann sagen, was ich denke und fühle, doch es suggeriert meinem Gegenüber auf jeglichem Kanal lediglich ein eigens kreiertes Abbild dessen, was ich beschreibe und zu vermitteln versuche.

Jemand der mir vor langer Zeit stark ans Herz gewachsen ist, hat vor ziemlich genau fünf Jahren mal etwas zu mir gesagt, was ich damals, zu Beginn meiner Segelei, noch nicht verstehen konnte. Ich wollte beschreiben, was ich sehe, was ich fühle und was in mir los ist und er meinte nur: „Ich verstehe es, doch irgendwann reduziert sich das vorerst nötige Worte finden auf ein kleines, konspiratives Grinsen, auf einen Wimpernschlag, der alles sagt.“

Ja, Glück ist nur perfekt, wenn man es teilt. Still und leise. Schweigsam und ohne viel Aufsehens. Denn Gefühle, wenn sie auf der selben Frequenz liegen, verstehen sich ohne Worte. Vielleicht segle ich deshalb lieber allein, weil die meisten Menschen nicht schweigen können und die Stimmung auf See aber genau diese Vertrautheit und Stille braucht.

Ich genieße den Nachmittag. Lasse mich verwöhnen vom Nichtstun und vergesse alles um mich herum. Fast alles, denn manche Gedanken lassen sich nicht steuern. Manche Träume bleiben bestehen, auch wenn sie unerreichbar sind.

Die See ist offen und der Wind immer noch gering. Doch das tut gerade verdammt gut. Denn das, was mich hier draußen umgibt ist weit besser, wie jede noch gut gemeinte Therapie. Hier draußen habe ich die Möglichkeit mich zu erden. Anzukommen. Ich selbst zu sein. Es klingt dabei etwas verrückt, von erden zu sprechen, wo mich doch ausschließlich Wasser umgibt. Doch gedankliche Wortspiele gefallen mir und verdeutlichen, wie sehr Sprache festlegt, wie der Mensch zu sein und zu fühlen hat.

Bevor es am Nachmittag zurück in die Sønderborger Bucht geht, gönne ich mir einen kleinen Snack und überlege, welcher Hafen für die kommende Nacht in Frage kommt. Die deutsche Seite reizt mich überhaupt nicht und Sønderborg Marina mag ich persönlich einfach so überhaupt gar nicht. In kurzer Absprache mit Lille Bjørn, der ebenfalls unterwegs ist, liegt die Entscheidung bei einer weiteren Nacht in Høruphav.

Ein letzter Blick zum Horizont, dann drehe ich um und setzte meinen Kurs zum Kalkgrund, um von dort mit Halbwindkurs wenigstens etwas Fahrt im Boot zu haben. Der Leuchtturm mitten im Wasser zieht mich immer wieder an. Er symbolisiert für mich eine imaginäre Grenze. Wenn ich ihn passiere, dann scheine ich in der Freiheit angekommen zu sein. Doch heute fahre ich in die falsche Richtung. Es ist ein bisschen wie  bei Monopoly. „Gehen sie in das Gefängnis. Gehen sie direkt dorthin. Gehen sie nicht über Los. Ziehen sie nicht 4000 Mark ein!“  Ja, das trifft es irgendwie.

Die Farbspiele auf dem Wasser lenken mich derweil ab von traurigen Gedanken und es fasziniert mich, wie der Blickwinkel die See so unterschiedlich schimmern lässt. In der Ferne liegt sie in tiefem Blau und direkt neben mir in warmen Grün. Die Tiefe des Wassers macht dabei keinen Unterschied, wohl aber die Perspektive.

Lille Bjørn ist bereits vorm Hafen in Høruphav angekommen, während ich noch die Segel berge und mich innerlich von diesem schönen Segeltag verabschiede. Sieben Stunden war ich unterwegs. Sieben Stunden ich selbst. Was für eine Genugtuung. Ohne irgendein Ziel, einfach nur hin und her, wie es mir gefällt und dabei den Blick immer auf das gerichtet, was mich erfüllt. Mein Leben im Hier und Jetzt.

Noch bevor ich den Hafen erreiche kommt Lille Bjørn bereits wieder raus gefahren. Ein Stegnachbar hatte es vorausgesagt. Es ist Pfingsten und die Häfen sind voll. So ist es auch heute auch Høruphav. Nicht mal kleine Boxen sind noch frei und überall haben sich bereits Päckchen gebildet.

Eine kurze Besprechung und schnelle Planänderung schenken diesem Tag so drei weitere Stunden auf See. Was für ein Traum. Das Wetter ist perfekt, der Wind zeigt sich noch mal von seiner angenehmen Seite und weiße Segel oder nackte Masten sieht man keine mehr. Ich freue mich über diese Extrarunde, auch wenn sie mir eigentlich viel zu weit in die Förde hinein geht.

Lille Bjørn hat Motorprobleme. Die Maschine ist neu, erst zwei Monate alt, doch irgendetwas stimmt nicht. In unregelmäßigen Abständen verliert die Maschine an Kraft, geht rapide mit der Drehzahl runter und wird immer langsamer. Ein sicheres und beständiges Fahren unter Motor ist somit ausgeschlossen und ein ungutes Gefühl schwingt sowohl bei Jannik, als auch bei mir immer mit. Der Monteur schiebt es auf die Garantieleistung des Händlers und will erst dabei gehen, wenn die Sache mit der Bezahlung geklärt ist. Fahren darf Lille Bjørn dennoch, sagt zumindest der Chef.

Findus kleiner Bruder segelt jedoch solange es geht. Erst bei unter zwei Knoten Fahrt startet Jannik die Maschine und fährt gemütlich mit 2000 Umdrehungen den eingegeben Kurs Richtung Marina Minde.

Diese Abendstunden hier draußen haben etwas besonderes. Es ist so friedlich. Die Sonne geht langsam unter und Emma taucht urplötzlich an Deck auf. Sie redet wieder mit mir und gemeinsam albern wir einige Zeit rum und machen unvorteilhafte Selfies, die niemand außer uns beiden je zu Gedicht bekommen sollte. Auch das ein oder andere Poserfoto für ihre Community darf nicht fehlen. Wenn andere in ihrer Klasse gar kein Boot haben, dann kann sogar meine alte Polaris Drabant 26 doch was hermachen und ihre ebenfalls pubertierenden Freundinnen beeindrucken. Immerhin etwas.

Neun Stunden sind wir jetzt unterwegs. Eine verdammt lange Zeit. Und doch kommt es mir so vor, als hätte ich gerade erst die Leinen losgemacht und würde lediglich die erste Meile hinter mir haben. Ich will nicht aufhören. Will einfach weiter fahren. Immer weiter. In die Sonne hinein, in die Nacht und wieder in den Morgen. Ich möchte abhauen und nie mehr zurück müssen. Möchte dem Wahnsinn an Land und um mich herum entfliehen. Möchte so gern sein ohne mich beweisen zu müssen, ohne permanent funktionieren zu müssen.

Meine Gedanken gehen mit mir durch und während ich notdürftig zum Abendbrot ein paar Nudeln auf meinem Spirituskocher koche und in den Tiefen meiner Staufächer nach einer schnellen Tütensoße suche, bin ich gedanklich unendlich weit weg.

Es ist wie immer, wenn ich an Bord bin und die Atmosphäre im Zwielicht meine Sehnsucht befeuert, denn in Gedanken gibt es da jemanden, der immer mit mir mitsegelt. Der einfach schweigend neben mir im Cockpit sitzt und das selbe sieht wie ich. Der das fühlt, was auch ich fühle und der mein Herz versteht. Der meine Sehnsucht kennt und meine Liebe zur See teilt. Es ist nur eine Fiktion, doch sie scheint so real, dass ich manchmal selbst zwischen Traum und Wirklichkeit nicht wirklich mehr unterscheiden kann. Vielleicht möchte ich es aber auch gar nicht, weil es sich einfach so gut anfühlt.

Der Hafen von Marina Minde liegt jetzt querab. Lille Bjørn bittet mich, zuerst hinein zu fahren, da sein Motor nach einer Stunde Fahrt bei niedriger Drehzahl jetzt doch fast ausgeht und er Bedenken bei den Hafenmanövern hat. Ich verlasse also meine kleine und geheime Traumwelt und bereite alles zum Anlegen vor. Es ist spät und ich bin nicht sicher, wie viel Leben noch an den Stegen herrscht. Noch immer habe ich keinen Tritt an meinem Bugkorb und bin so, was das Festmachen ohne Hilfe angeht, noch immer etwas ängstlicher, als ich es ohnehin beim Einfahren in den Hafen bin.

Ein mulmiges Gefühl ereilt mich auf einmal und ich bin nicht sicher, ob es nur mit der Suche nach zwei geeigneten Liegeplätzen zu tun hat oder ob sich da unterschwellig noch etwas anderes zusammenbraut. Ein entfernter Bekannter aus Dänemark, der ebenfalls eine PD26 segelt, meinte mal zu mir, dass wenn mich irgendeine Angst an Bord überkommt, soll ich für drei Sekunden die Augen schließen, tief durchatmen und mir bewusst machen: Ich kann das!

So fahre ich also voller Hoffnung bis in die letzte Reihe durch und nehme das Gas vollkommen weg, um langsam durch die Boxengasse zu treiben. Wind ist hier keiner mehr und mein Boot hat genügend Schub, um gemächlich Box für Box zu beiden Seiten nach grünen Schildern zu inspizieren. Ich sehe abwechselnd nach Steuerbord und Backbord und sehe erst ein mal erleichtert, dass genügend Menschen auf ihren Booten sitzen und den ausklingenden Abend bei untergehender Sonne genießen. Dabei versetzt es mir einen tiefen und schmerzvollen Stich im Herzen zu sehen, wie Pärchen beisammen sitzen, während ich mehr oder weniger Einhand nach einem Liegeplatz suche und gleich statt diesen traumhaften Tag und somit die vergangenen zehn Stunden auf dem Wasser, mit jemandem gemeinsam Revue passieren zu lassen, das Innere meines Bootes vom hinterlassenen Chaos meiner Tochter befreien muss.

Zum Glück finden sich zwei grüne Plätze. Lille Bjørn kommt langsam hinterher, etwas zögerlich, da es weit rein geht und seine Maschine keine umständlichen Manöver mehr zulassen kann. Doch alles geht gut und beide Schiffe stehen nebeneinander.

Wie so oft ergreife ich auch heute recht schnell die Flucht von meinem Boot. Nicht wegen meines Bootes, eher um allein sein zu können. Um mich herum wimmelt es von Menschen und ich möchte jetzt lieber für mich sein. Der Tag war schön. Das Segeln, das Feeling da draußen, meine Gedanken. Doch im Hafen holt mich die Realität wieder ein. Ich kann nicht teilen, was mich berührt. Ich fühle mich unverstanden. Vielleicht bin ein bisschen selbst Schuld, weil ich mich nicht auf all die fremden Menschen einlassen kann und nicht oberflächlich erzählen mag. Ich bin zu emotional und das kommt nicht immer gut an.

Mein kleines Boot kann irgendwie nicht mithalten mit jenen um mich herum. Ich fühle mich komisch, irgendwie fehl am Platz und nicht wirklich dazu gehörig. So ist es immer in Häfen, in denen das Leben bis spät in die Nacht pulsiert. Pärchen auf Motorbooten und auf größeren Yachten und ebenso teure Schiffe stehlen mir das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Es steht sicherlich immer alles in irgendeinem Verhältnis und wenn ich meine eigene und ganz persönliche Geschichte betrachte, dann habe ich unendlich viel erreicht. Doch um das zu verstehen, müsste ich immer wieder von vorn erzählen, was ich längst abgeschlossen habe. Meine Gedanken fahren Karussell und das erdrückende Gefühl der Traurigkeit breitet sich ungewollt wieder aus. Ich bin froh, als ich spät in der Nacht endlich zur Ruhe finde.

Am nächsten Morgen ist es nebelig, doch die Sonne kämpft sich bereits durch die graue Front und zaubert so ein unsagbar schönes Licht. Wieder gehe ich durch den Hafen. Wieder unruhig. Ich warte darauf abzulegen, doch muss ich zuvor mit Lille Bjørn abklären, wie wir weiter verfahren. Ich lasse ihn ungern mit seinen Motor allein, denn ich kann mich noch gut erinnern, wie Findus vor fünf Jahren in Marina Minde kaum An-und Ablegen konnte, weil auch der Motor meines Schiffes keine Kraft mehr hatte. Damals wäre ich froh gewesen, jemanden in der Nähe zu wissen, falls nichts mehr geht.

Die Welt ist noch still. Keine Stimmen, kein Rumpeln und Poltern in den Booten. Ob wirklich noch alle schlafen? Hat denn wirklich keiner Interesse an dem, was ihn hier und jetzt, in diesem Moment umgibt?

Ich halte den erwachenden Tag für mich fest und verankere diese Eindrücke und meine Gedanken in meiner Erinnerung. Das ist schließlich alles, was ich tun kann.

Die See ist still. Noch liegt die Förde spiegelglatt vor dem Hafen und ich warte noch einige Zeit, bis wenigstens ein wenig Wind Bewegung auf das Wasser bringt. Zurück in den Heimathafen möchte ich noch nicht. Ich muss noch einmal nach draußen. Ich muss noch einmal Leben, bevor mein „Gefängnis“ mich wieder bindet. Innerlich zerreißt es mich und ich höre schon jetzt wieder das Gemecker meiner Tochter. Sie war froh, schon soweit Richtung Zuhause zu sein.

Das Segeln fängt gut an und dieser letzte größere Schlag, bevor es die nächsten Wochen, wenn überhaupt, wieder nur zum Daysailing auf der Innenförde reicht, lässt mich noch einmal für ein paar Stunden dieses Glück spüren, was mit nichts anderen vergleichbar ist.

Findus springt durch die Wellen und gibt mir noch einmal genau das, was ich brauche. Dafür liebe ich mein Schiff und genau das ist es, was ich keinen anderen Segler mit eigener Yacht begreiflich machen kann. Kein anderes Schiff könnte mir geben, was mein Schiff mir gibt. Hier bin ich mein eigener Herr, hier gehöre ich hin. Hier bin ich richtig.

Ich genieße diese letzten Stunden bevor ich umdrehe und mich in die Innenförde zurück quäle. Es ist vorbei. Mal wieder.

Kurz vorm Heimathafen holt meine Realität mich wieder ein. Emma möchte schnell nach Hause und ich fahre sie in den Industriehafen. Von dort ist ihr Weg kürzer. Abschließend sammle ich Lille Bjørn ein und schleppe ihn an seinen Liegeplatz. Die Maschine startet jetzt nicht ein mal mehr. Ich bin also zurück im Wahnsinn.

Ich verbringe eine letzte Nacht allein an Bord. Allein im lauten Heimathafen. Emma ist jetzt zu Hause bei ihren Brüdern. Für eine Nacht geht das. Ich denke zurück. Erlebe vieles noch ein mal. Leuchtende Augenblicke und dunkle schattige Momente kreuzen sich dabei. Die Flasche Wein macht mich schläfrig und weit nach Mitternacht schlafe ich endlich ein.

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