4. November 2021
Gedanken

Es ist Anfang November. Draußen ist es kalt und ungemütlich. Grauer, wolkenbehangener Himmel und ein leichter Sprühregen drücken auf die Stimmung. Die Farben des Sommers und des goldenen Herbstes sind weitesgehend verblichen. Die Bäume tragen kaum noch Blätter und die feuchte und kühle Luft kriecht in alle Ecken und Ritzen. Auch die Menschen, deren sonst so geschäftiges Treiben am Hafen für Stimmung, laute Musik und unaufhörliches Geschnatter sorgen, sind verstummt und verkriechen sich nun in ihre Wohnungen.

Im Hafen selbst ist es schon länger still geworden. Nur wenige Boote stehen jetzt noch am Steg. Elf sind es in diesem Jahr. Sie liegen nun verteilt in den im Sommer voll belegten einunddreißig Boxen. Die meisten von ihnen werden den gesamten Winter über verweist bleiben.

Ich liege auf meiner Koje, während der Hauch eines zart orangenen Lichtes vom nicht weit entfernten Gehweg herüber scheint und etwas Farbe durch die Gardinen in den Salon meines Schiffes wirft. Draußen ist es still. Und dunkel. Meine Heizung läuft und es ist warm und gemütlich bei mir an Bord. Die Petroleumlampe auf dem Salontisch verströmt ihren typischen Duft und spendet mit ihrem gedämpften Feuerschein ein warmes Licht. Es ist schön. Fühlt sich gut und richtig an. Ich liebe diese Jahreszeit an Bord.

Es ist die Zeit des Resümees, des Nachdenkens und des in sich gehen. Hier an Bord, in dieser stillen und anheimelnden Kulisse, mit ihrer vertrauten Behaglichkeit, lasse ich den vergangenen Sommer noch ein mal Revue passieren. Ich denke an all die schönen Dinge, die ich erleben durfte. Die sonnigen Tage auf dem Wasser, die stille See, die blaue und geheimnisvolle Weite. Das blühende und doch begrenzende Land aus meiner einmaligen Perspektive. Inseln der dänischen Südsee, grünes Flachwasser und blaue Tiefen. Denke an den Als und an den kleinen und großen Belt, mit all den Brücken, unter denen ich in diesem Jahr hindurchgesegelt bin. Sechs waren es. Ich denke an die Häfen, die mir und meinem Schiff nächte- oder tageweise ein Stück zu Hause gaben und an die ich durchweg positive Erinnerungen habe. Und ich denke an das Gefühl, welches mich da draußen stets begleitet. Dieses einzigartige Sein. Diese Innere Freiheit und das unbeschreibliche Glück in meinem Herzen. Dabei zucken meine Mundwinkel und ein freudiges Lächeln macht sich in meinem Gesicht breit.

Auch denke ich an die Menschen, denen ich unterwegs begegnet bin. Manche trifft man wohl nur einmal im Leben. Man verbringt eine kurze Zeit miteinander, erzählt sich Geschichten, lacht zusammen und sieht sich danach nie wieder. Ihre Namen werden zu Schall und Rauch und nur der Moment der kurzen Gleichtaktung wird in Erinnerung bleiben.

Andere sieht man nur einmal im Jahr und freut sich auf sie. Eine spontane Verabredung in irgendeinem nahegelegenen Hafen. Ein Nachmittag. Ein Abend. Das muss reichen um Neuigkeiten eines ganzen Jahres auszutauschen, denn der nächste Tag wird uns in unterschiedliche Häfen ziehen. Doch so Gott will, werden wir uns im kommenden Sommer wieder sehen und uns erneut über unsere Abenteuer austauschen.

Doch auch Regen, Sturm und schlechte Laune, Traurigkeit und Wehmut gehören ebenso zu meinen Erinnerungen. Geschriebene Worte, ausgesprochene Sätze, die nicht rückgängig zu machen sind. Verpasste Segelstunden, aus Angst und Respekt vor Wind und Welle, missglückte An- und Ableger oder einfach unglückliche Tage ohne nennenswerten Grund.

Das alles zusammen war mein vergangener Segelsommer. Wie gern möchte ich jetzt hier sitzen und all meine Erlebnisse teilen. Erinnerungen wach werden lassen. Frei nach dem Motto: „Weißt Du noch….“

Doch keiner ist jetzt mehr hier. Die Boote sind verweist. Keiner kümmert sich wirklich um sein Schiff und keinem scheint es etwas bedeuten. Die kleinen Yachten schaukeln nur einsam und ungeduldig in ihren Boxen hin und her, doch niemand kommt. Sie werden nicht geliebt, sondern nur im Sommer gelegentlich benutzt.

Und wieder halte ich inne. Versuche zu verstehen, irgendwie zu begreifen. Doch es gelingt mir einfach nicht. So wie ich andere nicht verstehe, werden sie mich wohl ebenso nicht verstehen. Denn ich liebe mein Boot. Für Außenstehende ein Haufen Plastik. Ein kalter Gegenstand aus glasfaserverstärktem Kunststoff mit Holz und Alu. Ein Boot wie jedes andere auch. Nein, sage ich. Denn für mich besitzt dieses Schiff eine Seele. Kein anderes Boot vermag eine solche Atmosphäre sein Eigen zu nennen. Kein anderes Boot vermittelt ein solches Wohlgefühl in mir. Nirgends bin ich so zu Hause wie hier auf meinen Schiff.

Danke Findus.

3 Kommentare

  1. Ach, wie schön und wie wehmütig – aber auch passend – hast du das beschrieben, Marion!

    Antworten
  2. Hallo Marion,
    Es ist gut geschrieben, danke.
    Allerdings liegt schon recht viel Melancholie in deine. Sätzen…
    Nun – es werden generell nicht so sehr viele Boote wirklich bewegt und um diese Jahreszeit geht es gegen Null… da muss man schon in wärmere Gewässer fahren, aber auch da wird’s weniger ..
    Aber du kannst dein schönes Leben genießen – ich gönne es dir und wünsche dir noch viele schöne Erlebnisse.
    Viele Grüße vom Uwe

    Antworten
  3. Ja, viele schöne und vor allem auch nachvollziehbare Sätze. Lediglich deine Annahme, dass Boote, die nun so daliegen, nicht geliebt werden, kann man aus meiner Sicht nicht verallgemeinern.
    Ich freue mich sehr für dich, dass du dein Boot in so unmittelbarer Nähe hast und auch im Winter viel Zeit dort verbringen kannst. Das wünschte ich mir auch. Aber wer weiß…. Bei dir höre ich tatsächlich die Liebe zu deinem Boot in jedem Satz heraus. Es ist dein Zuhause. Du umschreibst es immer wieder so wunderbar.
    Liebe Grüße
    Katrin

    Antworten
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