17. Mai 2024
Himmelslichter

Die dänische Südsee. Liebliche kleine Inseln, die in saftigem Grün verteilt im südfünischen Inselmeer liegen. Landschaftlich sind sie wunderschön anzusehen und ihre Häfen liegen nicht weit von einander entfernt. Es sind nur wenige Stunden zu segeln und das nächste kleine Eiland kann schon erobert werden.

Doch genau hier liegt für mich das Problem. Ich möchte kein Land. Möchte nicht nach wenigen Meilen erneut im Hafen liegen. Ich möchte segeln. Stunde um Stunde einfach nur segeln. Nicht zwingend Meile um Meile, nein, es ist eher die Zeit, die ich auf dem Wasser verbringen möchte ohne dabei dicht unter Land bleiben zu müssen, weil die Distanz von Küste zu Küste zu gering ist. Doch hier in der Südsee ist das nicht möglich. Hier sind die Schläge kurz und das Land immerzu beinahe zum Greifen nah.

Ich bin unschlüssig, verspüre diese Sehnsucht nach der Weite und dem Anblick meines geliebten Nichts. Doch mir bleibt nicht genügend Zeit. Es lohnt sich irgendwie nicht heute hin und morgen zurück zu segeln. Im Gegenteil, es frustriert mich nur. Dieses nicht vorwärts kommen und auf der Stelle stehen raubt mir nicht selten meine Hoffnung auf das, was so tief in meinem Herzen nach Erfüllung schreit. Nein. Es hat heute keinen Sinn, denn eine altbekannte Traurigkeit überkommt mich und ich habe keine Lust mich gegen sie zur Wehr zu setzen. Ich akzeptiere sie und füge mich. Ich werde heute nicht segeln. Ich bleibe und lasse statt der See das Land auf mich wirken.

Søby. Einer der ersten Häfen, die ich vor sieben Jahren angelaufen bin. Damals war es noch eine Herausforderung, den Lillebælt zu queren, doch heute ist es fast schon zur Normalität geworden. Unzählige Male war ich bereits hier im Hafen und immer wieder finde ich einen Flecken Erde, den ich so noch nicht wahr genommen habe und mir nun zum ersten Mal ansehe.

Schön ist es hier und bei dem langen Weg in Richtung Des Leuchturms Skoldnæs fallen mir meine vergangenen Besuche hier auf der Insel und im Hafen wieder ein. Da war der Krankenhausbesuch mit meinem damals 12-jährigem  Sohn, der sich beim Schlafen im Bug meines kleinen Bootes so den Hals verrenkt hatte, dass kaum noch eine Bewegung möglich war. Die Treffen mit Svenja, ohne die ich hier so in dieser Form nie gelandet wäre. Das Zurücklassen meines geliebten Findus‘, dessen Motor damals nicht zuverlässig tat, wofür er bestimmt war und mich nach einer Nebelwand vorm Hafen nicht mehr zeitig bei Flaute nach Hause bringen konnte. Die Zeiten, wo liebegewonnene Segelbekanntschaften ebenso hier verweilten und wir lustige und in Erinnerung gebliebene Abende verbrachten.

Doch heute bin ich allein hier. Einerseits ist es das, was ich immer wollte. Fernab von jeglicher Verantwortung und ohne in eine Rolle schlüpfen zu müssen. Doch andererseits merke ich, das doch die passen Menschen fehlen. Gleichgesinnte, die mich auch ohne Worte verstehen. Freunde, mit denen man gemeinsame Erinnerungen schaffen und von ihren zehren kann. Segler, deren Herzen in einer ebenso starken Sehnsucht diesen lieblichen Schmerz in sich tragen. Menschen, deren Frequenz in den gleichen oder wenigstens ähnlichen Schwingen auf meine treffen.

Doch da ist niemand. Im Hafen kommen jetzt neue Boote an. Pärchen, Familien, Gruppen. Einhandsegler sind rar, ebenso wie Kleine Schiffe. Zumeist sind es moderne Yachten, größere Boote mit mehr Platz und Komfort. Die kleinen und alten Baureihen sterben langsam aus. Ein Weniger ist mehr ist heute eher ein Mehr statt weniger.

Auf See liebe ich das Alleinsein, doch an Land empfinde ich es einsam. Vielleicht liegt das an mir und meiner Einstellung zum Sein. An meinen Gedanken zu den Rollen, die jeder im Leben spielt und an der Tatsache, dass ich ausgehend von diesen Rollen die Gespräche oftmals als oberflächlich und gezwungen empfinde. Mir fehlt die Tiefe, das Echte, das Authentische. Und mir fehlt die Liebe für die Schönheit, die sich ergibt aus dem Wenigen, was für zumindest für mich zum Leben reicht.

Für heute Nacht sind Polarlichter bis in den Süden Deutschlands vorhergesagt. Ein starker Sonnensturm sorgt dafür, dass es bunt werden soll am Himmel und nicht zum ersten Mal bleibe ich extra wach, um diesem faszinierenden Spektakel beizuwohnen. Doch vorerst ist es noch zu bewölkt und man kann nur verschwommen durch die graue Wolkendecke erahnen, dass die Lichter bereits am Himmel tanzen. Zu früh ist es noch, denn das dichte Grau verzieht sich laut Wolkenradar erst in über einer Stunde. Ich stelle meinen Wecker am Handy und ich lege mich nochmal auf die Koje.

Kurz vor drei zeigt mir ein Blick aus dem Niedergang, dass der Himmel nun klar ist und bereits leichte Farben das Firmament zieren. Was mich jedoch daraufhin erwartet, hätte ich mir so im Leben nicht träumen lassen.

Pinke Polarlichter ziehen über die dänische Südsee hinweg und strahlen und leuchten dabei unendlich schön über meinen Kopf. Am Horizont, der eigentlichen gar keiner ist, da sich diverse kleine Landerhebungen dazwischen mogeln, wird es bereits wieder hell. Lange wird dieses Spektakel nicht anhalten können, denn die bevorstehende Helligkeit wird den Farben schon bald die leuchtenden Kraft entziehen.

Ich bleibe wo ich bin und genieße diesen absolut fantastischen Moment. Die Stege sind leer, die Boote dunkel. Keine Stimmen, kein Lachen, kein Staunen. Die Menschen im Hafen verschlafen offensichtlich dieses einzigartige Naturereignis und wieder fühle ich mich bestätigt und ihnen nicht zugehörig.

Der kommende Tag verspricht nur wenig Wind. Doch das stört mich wenig. Berausch von der letzten Nacht verlasse ich die Südsee und segle langsam gen Süden. Zurück in Richtung Flensburger Förde.

Das Meer so weit, der Himmel so klar. Das tiefe Blau, der Horizont so nah. Das ist es, was ich hier draußen so sehr liebe. Ich könnte ewig so in die Ferne sehen. Es wird nie langweilig und ich werde diesem Anblick einfach nicht überdrüssig.

Meine Gedanken sortieren sich wie von selbst und das permanente Chaos in meinem Kopf bekommt Struktur. Das wirre Geflecht von sich immer wieder kehrenden Fragen bringt Antworten hervor und das Leben fernab des Lärms und der Erwartungen an Land umgibt mich mit einer tiefer Zufriedenheit und einem Wohlgefühl, was mir einfach nirgendwo sonst bisher begegnet ist.

Der wenige Wind hat aufgegeben und meine schlackernden Segeln sind nun geborgen. Der Lillebælt kann so friedlich sein und unter Maschine setze ich nun mein Ziel in Richtung Außenförde fort. Ich versuche zu genießen, was ich habe. Mache mir wieder bewusst, wie weit ich es doch in meinem Leben geschafft habe. Wo ich herkomme, wo ich gewesen und wo ich bereits angekommen bin. 

Ich muss lernen, nicht nach den Sternen zu greifen und aufhören mich mit jenen zu vergleichen, deren Chancen im Leben einen deutlich besseren Ausgangspunkt hatten. Ich möchte noch mehr versuchen, nämlich ausschließlich bei mir selbst zu bleiben und meine Erlebnisse als das anzuerkennen, was sie definitiv sind, nämlich meine persönlichen Erfolge. Mein Vater hat früher zu mir als Kind immer gesagt, ich solle mich stets nach oben, an den vermeindlich Besseren orientieren, doch das ist falsch. Das verursacht nur Leid und Druck und forciert ein Gefühl des nicht genügen. Ich orientiere mich lieber an dem, was einmal war und was heute ist. Ich orientiere mich an mir selbst und dem stetigen Wachstum meines Selbst.

So sehr ich auch weg will, es geht mir dabei nicht uns Meilen machen. Es geht nicht darum die Welt zu umsegeln. Es geht auch nicht darum, möglichst viel zu sehen, mitreden zu können und Geschichten zu erzählen. Was für mich zählt, ist ausschließlich das Gefühl. Dieses Gefühl, was in mir diese unbändige Energie freisetzt, was mir Kraft und Stärke verleiht und meinen inneren Schweinehund überwindet und mich vorwärts bringt. Manchmal nur mit kleinen Schritten, manchmal vielleicht sogar ein paar Schritte zurück, doch am Ende immer voran.

Ich bin dankbar. Ich bin so unendlich dankbar, dass hier erleben zu dürfen….

Mein Freund, der Kalkgrund, ist erreicht. Beständig steht er da und weist den vorbeifahrenden Booten den Weg. Ich begrüße ihn und spiegelnd im Wasser winkt er mir hinterher, während ich Kurs auf den nächsten Hafen nehme.

Wackerballig zählt nicht unbedingt zu meinen Lieblingshäfen, was schlicht daran liegt, dass ich mich in einen deutschen Hafen weniger frei fühle, wie in einem dänischen, doch er ist günstig und hier gibt es im Sommer wunderschöne Sonnenuntergänge zu sehen.

Auch hier finde ich an Land schöne Plätzchen, deren Anblick meine Augen verwöhnen. Und ja, es stimmt, es ist eigentlich vollkommen egal, wo mir diese kleinen Schönheiten begegnen, wichtig ist, dass ich sie erlebe. Das ich bewusst bin und sie wahrnehme und ihnen ihre Bedeutung gebe. Vielleicht fotografiere ich deswegen so gern. Um mich zu erinnern, dass auch die kleinen Dinge im Leben wunderschön sein können.

Es stimmt schon, von allem was mir begegnet, kann ich sagen, ich habe es erlebt. Das saftige Grün im Frühling, die Rapsblüte auf den Feldern, die Sonnenuntergänge im Hafen. Ich bin draußen in der Natur, sehe, spüre und atme was mich umgibt und es zu einem Teil von mir. Ich erfreue mich an dem, was ich erleben darf und doch bleibt da diese tiefe Sehnsucht in mir zurück.

Ist es nur die Sehnsucht, die mich treibt? Oder vielleicht auch die Tatsache, dass ich einfach nicht ankomme?

Ich sehe mein Schiff, spüre dieses wohlige Gefühl und das Lächeln, was meine Lippen umgibt. Mein kleiner Findus. Ich bin so unendlich stolz, diese alte und einfache Yacht mein Eigen nennen zu können, denn hier habe ich wirklich alles, was ich zum Leben brauche. Weniger ist nunmal mehr.

Und doch, an Land, festgebunden im Hafen, inmitten von Fremden, schlägt mein Herz nicht den Rhythmus der mein Sein zum klingen bringt. Ich höre Stimmen, die sich angeregt unterhalten und scheinbar gegenseitig zu übertrumpfen versuchen. Ich höre lautes Kindergeschreih und Hunde die bellen und dabei vermisse ich die Stille, die die hektische und schnelle Welt zum stehen bringt und einzig die zwitschernden Schwalben auf den Achterleinen scheinen dem Ton meines Liedes zu verstehen.

Nicht zum ersten Mal frage ich mich, wo all die Seelen sind, die meiner ähneln. Wieso sieht denn niemand hinaus aufs Wasser, wo sich jetzt die untergehende Sonne mit der See verbündet? Wo sind jene, die fühlen, was ich fühle? Jene, deren Taktung es meiner wenigstens in einzelnen Passagen gleichtut?

Ich verlasse den Hafen von Wackerballig so still wie ich gekommen bin und setze draußen direkt die Segel. Wir haben Ostwind, der im Laufe des Tages zunehmen wird, doch jetzt weht er mit verlockenden 4 Beaufort und ich kann einfach nicht anders, als die Förde noch einmal in Richtung offene See anzusteuern. Nocheinmal meine „Freiheit“ sehen, die Weite.

Mein Schiff und ich sind in unserem Element. Findus rauscht durch die Wellen und spielt mit der Gischt und ich bin glücklich.

Ich werde wohl lernen müssen, dieses Glück nicht teilen zu können und es für mich zu behalten. Doch „Glück ist nur perfekt, wenn man es teilt“….

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Abonniere meinen Blog

Gib deine E-Mail-Adresse ein, um diesem Blog zu folgen und per E-Mail Benachrichtigungen über neue Beiträge zu erhalten.

Wir halten deine Daten privat und teilen sie nur mit Dritten, die diesen Dienst ermöglichen.

Archiv