30. Juli 2023
Ich will mehr

Ich laufe Gefahr wieder in einen Tiefpunkt hinab zu rutschen und das einzige von dem ich sicher weiß, dass es mich davor bewahren wird, ist raus zu fahren und die Segel zu setzen. Eigentlich wollte ich noch einen Tag bleiben und mit Torben quatschen, doch es zieht mich einfach raus. Der Wind ist heute weniger wie noch gestern vorausgesagt und verspricht aktuell einen guten Segeltag. Ich bin mir sicher, Torben versteht, dass ich weiter muss.

Ich verlasse zeitig den Hafen von Marstal und direkt hinter der Ausfahrt setze ich zügig die Segel. Der Wind kommt etwas achterlich hier, doch wenn ich die Betonnung gen Norden nehme und nicht durch das nur drei oder vier Meter tiefe Gebiet westlich des Fahrwassers fahre, dann komme ich vorerst auf einen guten Halbwindkurs. Findus reagiert sofort und ist direkt mit voller Freude dabei. Es ist schön zu spüren, wie der beständige Druck im Segel meinem Boot Geschwindigkeit verleiht.

Ich blicke wieder nach Osten. Offene See. So wunderbar. So reizvoll. So faszinierend. Fast zumindest, denn ganz so offen ist es eigentlich gar nicht. Doch Langeland ist flach und man sieht den Streifen Land am Horizont kaum. Der Gedanke an mein geliebtes Nichts öffnet mein Herz. Ich muss lächeln und spüre, wie die Schwere, die mich gestern noch zu überkommen drohte überwunden und einer fröhlichen Leichtigkeit gewichen ist.

Seit ein paar Tagen ist Segeln irgendwie anders. Wo ich vor geraumer Zeit bei Winden um die zwanzig Knoten noch Bedenken hatte und nicht raus wollte, fühlt es sich jetzt so richtig an. Komischerweise stört mich der Wind hier in der Gegend weit weniger wie auf meinem Heimatrevier, der Flensburger Förde. Hier fühlen sich die zwanzig Knoten Wind richtig an und stehen mit den Wellen irgendwie anders im Verhältnis. Mir scheint es fast, als gefiele es auch meinem Boot hier mehr, doch ich vermute, es liegt einfach nur am gerefftem Segel. Findus liegt viel konstanter im Wasser und mir gefällt das Segeln so viel besser. Der Druck ist weniger, die Krängung auch und doch ist Findus schnell.

Wie irre rauscht mein Schiff durch die dänische Südsee. Es springt über Wellen und schneidet das Wasser und wenn ich genau hinhöre, dann höre ich sein Jauchzen und seine Freunde über das, was es hier zu tun in der Lage ist. Und auch ich jauchze innerlich vor Freude. Auf Amwind- und Halbwindkursen lasse ich Heinrich steuern. Mein Autopilot kann einiges ab und hält stabil die Pinne und damit den angegebenen Kurs. Mir bleibt derweil Zeit genug im Cockpit zu stehen und mich umzusehen. Ich genieße die emporsteigende Gischt und bin fasziniert von den kleinen Regenbögen, die nur den Bruchteil einer Sekunde über der Wasseroberfläche auftauchen, wenn das Sonnenlicht sich in den tausenden Tropfen des herabfallenden Wassers bricht. Ich könnte stundenlang demselben Schauspiel wieder und wieder folgen. Es ist immer gleich und doch sind die einzelnen Spritzer der rauschenden Gischt immer unterschiedlich. Ich liebe es einfach zuzusehen.

Irgendwann überkommt es mich dann und ich mache meinen bluetooth Lautsprecher an. Mir ist nach Musik zumute und jeder der das hier jetzt liest, wird wahrscheinlich bei der Auswahl dessen, was ich jetzt in Dauerschleife höre, die Hände über dem Kopf zusammen schlagen. Lauthals singe ich mit und bin froh in diesem Moment alleine zu sein. „La Paloma“ und „Seemann, deine Heimat ist das Meer“ sind zwei der alten Seemannslieder, bei denen ich immer wieder heulen könnte und es manchmal sogar tue. Sie sagen genau das aus, was ich fühle, denn auch meine Sehnsucht trägt mich raus in die blaue Ferne. Zumindest in jene Ferne, die aktuell vor mir liegt. Und ja, auch meine Liebe ist mein Schiff und auch meine Heimat ist das Meer.

In diesem Moment überkommt mich wieder dieses Gefühl. Dieses Gefühl anders zu sein. Nicht kompatibel, unverstanden, nicht dazu zu gehören. Ich habe meinen Platz in der Gesellschaft einfach noch nicht gefunden, denn die Rollen des Lebens haben mich die letzten Jahre so stark geprägt, dass ich an Land nicht weiß wer ich eigentlich bin. Doch hier auf See weiß ich es. Hier spüre ich es. Hier an Bord meines kleinen Schiffes, irgendwo auf See, ohne Land und Leute um mich herum, bin ich einfach nur ich selbst. Ich. Ein Mensch, der in sich ruht. Glücklich, zufrieden, eins mit sich selbst.

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