28. November 2022
Kleines Boot ganz groß

Draußen ist es trüb und ich sitze im Salon meines kleines Schiffes. Heute bin ich nachdenklich und wohl etwas zu sehr sentimental. Mir ist nicht nach Segeln zumute. Stattdessen räume ich zum x.ten mal sämtliche Staufächer und Schapps leer und auf und um. Ich sortiere und ordne und rufe mir mein kleines Inventar in Erinnerung. Manches benötige ich nicht an Bord, anderes finde ich nach langem Suchen endlich wieder. Nicht selten fehlt mir die ausgibige Zeit wirklich an Bord anzukommen. Ich genieße die Ruhe im Hafen und die Möglichkeit für mich allein sein zu können. Ich liege auf meiner Koje und berühre die selbst verkleideten Innenseiten des Rumpfes, deren grauer Nadelfilz auch nach sechs Jahren noch immer top in Schuss ist und hingegen vieler Prophezeiungen nicht die leiseste Spur von Stockflecken oder Feuchtigkeit aufweist. Ich öffne die Bodenbretter meiner niedrigen Bilge. Sie ist trocken und ich muss lächeln, denn ich habe nichts anderes erwartet. Mit Feuchtigkeit habe ich unter Deck keinerlei Probleme. Es muss wohl soetwas wie ein Gerücht sein, wenn man hört, dass jedes GFK Boot mit Schwitzwasser zu kämpfen hat und irgendwo immer klamme bis nasse Stellen zu finden sind. Findus hat da zum Glück keine Probleme mit und die wenigen Male im Jahr, wo nach einem kräftigen Regenschauer aus „verkehrter“ Richtung doch mal drei, vier Tropfen Süßwasser, die sich ihren Weg entlang des Inneren meines durchgesteckten Mastes bin ins Schiff hinein suchen, ein Küchentuch zieren, sind wahrlich die Ausnahme. Nein, Findus ist weitestgehend dicht, weshalb ich mir um Schimmelbildung an den Polstern und Gardinen oder gar um Rost im Bereich der Kielbolzen keinerlei Sorgen machen muss. Lediglich der neue Motor hat seine kleine Schwachstelle, die mir jährlich seit beinahe vier Jahren in der Wintersaison aufzeigt, dass alles Moderne offensichtlich mit weniger Qualität einhergeht, wie das, was bereits seit Jahren Bestand hat. Findus ist gepflegt und seinem Alter und meinen Möglichkeiten entsprechend gut in Schuss.

Seewasserpumpendichtung und Ölleitung

Seit über sechs Jahren nenne ich dieses kleine Wunder, was mein Boot noch immer für mich ist, nun mein eigen und noch immer ist da dieses ungläubige und total wahnsinnige Gefühl: Dieser 43 Jahre alte und nicht wirklich wertvolle Haufen aus Holz und Glasfaserverstärktem Kunststoff ist wirklich mein Boot. Es ist noch immer verrückt; Ich habe tatsächlich ein eigenes kleines Boot. Eine kleine Segelyacht von knappen acht Metern Länge, mit der ich in fremde Häfen segeln kann und auf der ich reisen und während der Uraubstage leben kann. Noch immer erscheint es mir wie ein Traum und das ist mein Boot auch für mich. Ein real gewordener Traum. Meine große Liebe, mein Leben, mein Zuhause.

Zuhause. Für die meisten Menschen unbegreiflich, denn hier ist es beengt. Kein echtes Wohnzimmer, kein abgetrennter Schlafbereich. Stattdessen eine offene Küche und kein Klo. Von Luxus kann ich wahrlich nicht sprechen. Und doch: mein Boot ist der größte Luxus, den ich mir nur wünschen kann. Hier lebt sich der Gedanke: weniger ist mehr! Was brauche ich denn schon? Hier habe ich doch alles. Hier bin ich glücklich. Hier bin ich zufrieden. Und doch gibt es einen letzten Funken der mir manchmal etwas fehlt.

In meinem Kopf braut sich eine Melodie zusammen und die dazugehörigen Worte ergreifen für kurze Zeit Besitz meiner Gedanken. „Du wirst nie zu Hause sein, wenn du keinen Gast, keine Freunde hast. Dir fällt nie der Zauber ein, wenn du dich verschließt, nur dich selber siehst….“ Heinz Rudolf Kunze, 23 Jahre her und doch so erschreckend aktuell. Bilder, Zukunftsvisionen und Ideen schießen mir zum wiederholten Male durch meinen Kopf und ich überlege kurz, ob ich diese nie ausgesprochen Möglichkeiten vielleicht doch angehen solle, bevor ich mich wieder mit mir und meinem kleinen Boot beschäftige.

‚Kann ich wirklich Gäste bei mir an Bord, auf so engem Raum, willkommen heißen?‘ Es ist doch sehr persönlich, recht familiär, vielleicht sogar eine Spur zu intim. Bin ich nur „Corona geschädigt“ oder fehlt auf meinem alten Segler wirklich der Abstand zueinander? Ich komme ins Grübeln. Ich liebe dieses Schiff. Bin zu 100% zufrieden und glücklich damit. Ich habe es zu meinem eigentlichen Zuhause gemacht und möchte es um nichts in der Welt gegen ein anderes Schiff eintauschen. Und doch drängen sich immer wieder Fragen auf, deren Antworten lediglich die Oberflächlichkeit meiner Umwelt offenbaren würde.

Archivbild

Ist Findus wohlmöglich für andere nicht gut genug? Findus ist keine moderne Rennziege. Mir selbst liegt nichts daran, anderen Seglern beweisen zu müssen, wie schnell mein Schiff segeln kann. Liegt es letztlich doch nicht nur im Können des Skippers, sondern vielmehr daran, wie gut ich ein Schiff vorbereite und wie viel Geld ich hineinstecken kann. Ein reines Unterwasserschiff, neue und feste Segel, reduziertes Gewicht und eine geübte und auf das Schiff eingespielte Crew. Nein. Regatten sind nicht mein Ding und auch nicht das Kriterium, an dem ich die Vorteile meiner kleinen Polaris festmache. Findus ist auch nicht geräumig. Sicherlich gilt die PD26 als ein Raumwunder jener Zeit, doch gemessen an heutigen Standards kann mein Schiff schon lange nicht mehr mithalten. Keine abzuschließenden Kajüten, keine Dusche, kein Bad, keine Toilette. An Bord meines Schiffes gibt es nur einen Raum und hier spielt sich alles ab. Kochen auf einem einfachen Spiritusherd, Essen im Salon. Leben, schlafen und nebenher den Eimer benutzen. Wer hier Privatsphäre sucht, der wird nicht fündig werden. Auch vom Luxus sind mein Boot und ich weit entfernt. Kein Gasherd, kein Backofen. Kein eingebauter Kühlschrank, kein Kaffeeautomat und auch keine Mikrowelle. Immerhin habe ich den Anschluss zum Landstrom nachgerüstet und kann Wasser kochen, wenn Strom vorhanden ist. Auch machte meine Vorliebe im Winter an Bord zu sein eine Heizung vor vier Jahren zwingend notwendig. Doch von gigantischen Yachten mit Waschmaschine und Trockner an Bord, kann mein Boot ohnehin kaum weiter weg sein.

Findus ist in meinen Augen ein Traum von einem Schiff. Der Riss des Rumpfes, die Formen der Aufbauten, die Proportionen zueinander. Freibord, Länge, Breite. Die Konturen, der Löffelbug, der positive Spiegel. Das 7/8 Rigg, die nach achtern gepfeilten Salinge und der durchgesteckte Mast, der die Länge des Bootes im gesamten um fast vier Meter überragt. Der dänische Konstrukteur, Gert Gerlach, hat sich in den frühen Siebzigern nur kurz Gedanken gemacht und im Nu ein Traumschiff seiner Zeit entworfen. Was für ein genialer Kopf, der diesem Schiff als einzigen seiner Reihe von neun unterschiedlichen Drabanten den Beinahmen POLARIS gegeben hat. Noch heute leuchten nicht wenige Augen alter Dänen, wenn sie von der Polaris Drabant 26 hören.

Konstrukteur Gert Gerlach, Quelle Internet

Gewiss, Findus ist eine wunderbare kleine Yacht, doch außer der wenigen Liebhaber weiß das kaum einer zu schätzen. Zu sehr fehlt es an heutigen Standards. Vielleicht ist das ein Grund, warum Besuch bei mir an Bord eher spärlich ist. Kaffeeklatsch, Feierabendbier und gemütliche Abendessen finden nunmal leider eher auf großen Booten statt und Segelarrangements scheinen ebenfalls den Großen und modernen Yachten vorbehalten. Es gibt Tage, da stimmt mich das traurig und manchmal frage ich mich: sterben die kleinen und einfachen Yachten aus? Sind mein Boot und ich wirklich eine „aussterbende Spezies“?

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