16. Juli 2022
Mental Breakdown

Der Morgen beginnt still und nicht nur im, sondern auch vorm Hafen liegt das Wasser spiegelglatt und ohne jegliche Bewegung da. Ich bin wieder seit um vier Uhr wach und es ist bereits jetzt schon angenehm warm. Es wird wohl einer der seltenen Sommertage in diesem Urlaub. Auch die Schwalben sind schon recht aktiv und sitzen gefühlt zu hunderten auf den Heckleinen der Boote, den gespannten Sorgleinen und sogar an Bord auf den Relingsdrähten und zwitschern ihre Lieder. Ich genieße diese idyllische morgendliche Hafenatmosphäre, bevor ich aufstehe und mein Boot klar mache.

Es ist kaum vorstellbar, dass ab heute Mittag der Wind wieder mit zwanzig Knoten und mehr durch die dänische Südsee fegen soll und dabei die See aufpeischt, sodass eine ausreichende Welle stehen wird, in der ich nicht mehr unterwegs sein möchte. Wir entscheiden uns deshalb, frühzeitig aufzubrechen und unseren rund zwölf Meilen kurzen Schlag in Ruhe und mit etwas Glück vielleicht sogar unter Segeln genießen zu können.

Der Hafen von Ballen auf Fyn schläft noch, als ich ihn mit knatternden Motor verlasse, um mich draußen bei Null Knoten Wind einfach treiben zu lassen. Es ist mir egal, ob ich vorankomme, ich möchte mich einfach nur treiben lassen und versuchen zu vergessen, dass ich einen Teil meiner Träume auch in diesem Jahr nicht werde erreichen können.

Die Segel sind gehisst und langsam kreuze ich hin und her. Der grobe Kurs ist gesteckt, doch ich halte ihn nicht ein. Einerseits möchte ich einfach ewig so vor mich hinsegeln, mich treiben lassen von meinen Emotionen und der zauberhaften Stille, doch andererseits muss ich im Hafen ankommen, bevor es wieder zu stark bläst. Ich weiß schließlich, dass in wenigen Stunden wieder alles vorbei ist und der Wind erneut seine zwanzig Knoten erreichen wird.

Dieser Urlaub ist einfach anders. Er erfüllt keine Wünsche und Träume und er schafft keine neue Energie, von der ich noch lange danach werde zehren können, stattdessen raubt er die letzten noch vorhandenen Kräfte und nagt an den kleinen, dafür aber so lebenspendenden Hoffnungen. Wenn es nicht diese Zeit des Urlaubs ist, in der ich die Chance auf mich selbst habe, wann soll sie es dann sein? Wann und vorallem wo habe ich die Möglichkeit zur Ruhe zu kommen, wenn nicht irgendwo hier draußen? Wann darf ich denn einfach nur ich selbst und frei von jeglichem Außen sein?

Sind es ausschließlich diese winzigen Momente, in denen ich augenscheinlich frei von Verantwortung bin? Frei vom Muttersein? Frei von Arbeit? Frei von auferlegten Zwängen? Wo bleibt da noch das reelle Selbst? Oder ist man derart von der Gesellschaft gefangen, dass es ein Selbst gar nicht geben darf?

Drei Stunden dümpel ich langsam hin und her und spiele in Gedanken mal wieder unzählige Fragen und Antworten des Lebens durch. Nicht wirklich auf der Suche, finde ich dabei nicht selten Antworten, bevor ich mir selbst die passende Frage dazu stellen konnte und komme mir selbst, meinen manchmal etwas wirren Gedanken und einem Teil um das Geheimnis des Lebens so immer einen Schritt weit näher. Genau das ist es, was mich unter anderem allein an Bord meines kleinen Schiffes glücklich sein lässt. Diese Zeit der Ruhe, in der so vieles endlich einen Sinn ergibt und die Logik wie von selbst einzug hält in das verkorkste Chaos, was sich Leben nennt. Hier draußen stimmt der Satz: in der Ruhe liegt die Kraft.

Im Schneckentempo geht es von Tonne zu Tonne. Segeln kann man das, was ich gerade tue, wohl nicht wirklich nennen und doch komme ich langsam aber sicher voran. Meiner Berechnung, die ich wie üblich mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 4,5 Knoten mache, zu Folge, hätte ich nur knapp eine Stunde bis an diesen Wegpunkt gebraucht, doch ohne Wind und bei spiegelglattem Wasser verbringe ich nahezu die dreifache Zeit hier für mich allein im Cockpit und genieße diese kostbaren Momente. Wie immer schläft meine Tochter noch und bekommt von all dem Schönen und Ruhigen hier draußen nichts mit und ich bin ehrlich gesagt froh darüber, wenigstens jetzt, in diesem Moment, keiner Mutterpflicht nachkommen zu müssen.

Der Himmel wird langsam dunkler und graue Wolken kündigen den bevorstehenden Wind bereits aus der Ferne an. Doch noch habe ich etwas Zeit. Ein klein wenig Zeit für mich, bevor es in den sicheren Hafen geht und ich wieder für einige Tage dort stehen muss und nicht das Leben spüren kann, was mir Kraft und Energie spendet.

Durch die Engstelle zwischen Avernakø und Drejø fahre ich mit Maschine, da es mit unter einem Knoten Fahrt im Boot einfach keinen Sinn mehr macht, das etwas über einer halben Meile schmale Fahrwasser zu kreuzen. Ich habe noch knapp eine Stunde unter Vollspeed vor mir und möchte jetzt doch so dicht wie möglich vorm Hafen sein, bevor der Wind loslegt.

Kaum verlasse ich das Fahrwasser, ist er auch schon da. Mal wieder hat DMI recht mit seiner Vorhersage behalten und die zwanzig Knoten zur richtigen Zeit voraus gesagt. Es ist Wahnsinn, wo eben noch die absolute Flaute herrschte, pustet es jetzt wieder viel zu kräftig. Ich möchte nicht mehr segeln, denn ich weiß, das die mir jetzt entgegen kommende Brise erst der Anfang dessen ist, was noch kommen wird. Stattdessen lasse ich die Maschine laufen und überlasse Heinrich die Pinne, während ich auf dem bereits nassen Bug sitze und mir die hochpeitschende frische Gischt zusammen mit dem Wind ins Gesicht spitzt. Was für eine herrliche Abkühlung.

Bereits gegen Mittag erreiche ich mit einem lachenden und zugleich auch einem weinenden Auge den Hafen von Søby. Hier kenne ich mich aus. Kenne den Hafen, die Boxen, den Hafenmeister. Ich war schon so oft hier, sodass Søby so eine Art zweiter Heimathafen geworden ist, in dem ich mich willkommen fühle. Dennoch versetzt es mir diesen inneren Stich, dass ich es wieder nicht weiter geschafft habe und erneut hier gelandet bin.

Sind meine Erwartungen an meine freie Zeit etwa doch zu hoch? Ist meine Verantwortung als Mutter zu übertrieben? Welches Maß an einem gesunden Selbst ist das richtige? An mich herangetragene Erwartungen überfordern mich. Nicht nur beim Segeln ist mir der Wind in letzter Zeit oftmals zu viel, auch im täglichen Leben zerren die Stürme des notwendigen Miteinanders an Bord an meinen Ressourcen und rauben mir den letzten Hauch von Energie. Ich kann einfach nicht mehr.

Eine zermürbende Einsamkeit, die fehlende Kommunikation mit Gleichgesinnten und der nicht vorhandene und anspruchsvolle Gedankenaustausch, ebenso wie ein tiefes Verstehen auch ohne viele Worte, eine gewisse Gleichtaktung, auf der selben Welle für einige Zeit gemeinsam das Auf und Ab des Lebens mit lieben Menschen teilen zu können, fehlen mir und ziehen mich hinab in einen Studel bestehend aus Depressionen und Panikattacken. Das Leben rennt an mir vorbei und hat mich vergessen.

Ich ergebe mich. Bin machtlos und leer und im Augenblick ohne jegliche Perspektive. Mein Sein kann ich nicht leben, meine Rolle erdrückt mich und eine unheimliche Leere ergreift Besitz von mir. Unruhig bin ich auf der Suche. Bloß wonach?

Mein Boot, meine eigentliche Zuflucht, ist notgedrungen belegt und ich kann scheinbar nirgendwo mehr hin um allein sein zu können. Meine Gedanken schwirren umher. Mir ist schwindelig, alles tut irgendwie weh und ich bin nicht mehr bei mir. Das Gezerre an mir, meine Gedanken und Gefühle, haben mich komplett aus meiner eigenen Umlaufbahn geworfen und ich muss mich jetzt irgendwie versuchen erneut zusammen zu setzen, um anschließend wieder zu mir und meiner eigenen inneren Mitte finden zu können.

Wie mir das gelingen soll weiß ich nicht. Ich bleibe erstmal ein paar Tage hier. Zur Not weiß ich, dass Hilfe hier garantiert ist.

Die Tage vergehen und der Wind hält an. Stürme ziehen vorbei und binden mich ans Land. Ebenso bleiben meine Selbstzweifel, meine Sorgen und Ängste mir noch einige Zeit bestehen, doch ich weiß, ich muss sie aushalten, muss reflektieren und daran wachsen. Ich muss damit umgehen und so diesem unheimlichen Dunkel entgegentreten. Es wird besser werden, heller und freundlicher, auch wenn die Dunkelheit wohl nie ganz verschwinden wird. Doch es gilt dieses Leben zu leben, es zu beschreiten und dabei das Beste gpr mich herauszuholen. Es ist mein Leben, mit allen Höhen und Tiefen, mit Freude und Leid, mit Glück und Traurigkeit und will es leben.

Der Regen prasselt auf mein Schiff. Das Steckschott habe ich offen und so höre ich den Regen noch viel intensiver. Es klingt so schön. An Deck, direkt über mir, klingen die Tropfen etwas zarter. Im Cockpit hingegen, auf der Kuchenbude, klingt es dumpf und wesentlich lauter. Es ist schön dieser Gleichmäßigkeit zu lauschen und dabei ganz langsam in den Schlaf über zu gehen. Ich liebe es und finde zumindest hier wieder langsam zu mir.

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