18. Juni 2023
Sommersonnenwende / Litha

In wenigen Tagen ist kalendarischer Sommeranfang. Verrückt eigentlich, da ab dann die Tage wieder kürzer und die Nächte länger werden. So richtig verstehen kann ich diese Zeitrechnung nicht und jedes Jahr aufs Neue frage ich mich, wie etwas beginnen kann, wenn es sich doch bereits mitten drin befindet. Wie kann ein Höhepunkt einen Anfang markieren? Schöner und vorallem auch logischer finde ich da den keltischen Jahreskreis, der den Sommeranfang auf den 01. Mai datiert und dessen Höhepunkt in Litha, unserer Sommersonnenwende gipfelt.

Quelle: Krautwild

Wie dem auch sei, um Litha herum habe ich es mir, zumindest soweit das Wetter mitspielt, zur Tradition gemacht, mit Findus über Nacht raus zu fahren. Anfangs war es nur eine fixe Idee, geboren aus der Neugier, wie die hiesigen Seezeichen in der Flensburger Förde im Dunklen blinken und leuchten, doch die Stimmung in der Nacht hat mich überzeugt und seitdem fiebere dieser Nachtfahrt, deren Dunkel nur kurz anhält, in jedem Jahr aufgeregt entgegen.

Heute komme ich erst spät los. Ereignisse zu Hause erfordeten meine Anwesenheit und leicht deprimiert musste ich deshalb bereits auf einen wunderschönen Sonnenuntergang auf dem Wasser an diesem mittlerweile vergangenen Abend verzichten. Ein wenig kämpfe ich mit mir. Lohnt es sich noch? Es ist jetzt spät geworden. Längst ist es weit nach null Uhr. Soll ich trotzdem noch los? Ich hardere nur kurz, denn mein Herz ist eigentlich schon seit Stunden unterwegs und ehe ich mich versehe, fahre ich im Dunklen zum Hafen, packe schnell die Segel aus und mache Findus startklar. Ich habe nur noch einen Gedanken: Schnell weg.

Die See vorm Hafen ist ruhig und liegt einmal mehr spiegelglatt vor mir. Es ist wunderschön auf dem Wasser und schon jetzt ist klar, dass meine Entscheidung loszufahren trotz aller Umstände richtig war. Mein viel zu lauter Harry knattert mit seinem einen Zylinder rücksichtslos in die Stille der Nacht hinein und ich fühle mich schon fast etwas schuldig, diese Ruhe zu stören. Doch ich möchte erstmal raus und wenigstens die Lichter des Hafens hinter mir lassen. Ich möchte mich auf das wenige Dunkel in dieser Nacht einlassen, bevor es heute aus Nordosten noch weit vor dem eigentlichen Tagesanbruch wieder hell wird.

Ein Blick in meinen Mast zeigt mir unterdessen an, dass aus unerklärlichen Gründen mein Dampferlicht seinen Dienst versagt. Was soll das denn jetzt? Vor wenigen Wochen war doch noch alles in Ordnung. Oft genug war ich in der Wintersaison noch nach Sonnenuntergang draußen und bin nicht selten unter Maschine durch die kalten und dunklen Stunden zurück in den Hafen gefahren. Wann ist es passiert, dass die LED Leuchte zwischen den Salingen aufgegeben hat? Die Sicherung ist drin, der Schalter steht auf on und Spannung ist zumindest am unteren Mastaustritt auch vorhanden. Das Problem muss also oben in in der Verbindung oder dem Licht selbst liegen. Es ärgert mich, denn regelunkonformes Verhalten liegt mir nicht. Kurzfristig lasse ich noch mein weißes Rundumlicht leuchten, doch wohl ist mir dabei nicht wirklich. Unter zwölf Metern Bootslänge ist es zwar vollkommen legitim die vorderen Positionslaternen und das weiße Rundumlicht unter Maschine zu nutzen, doch müsste ich so eigentlich das achterliche Licht am Heckkorb löschen, was aber wiederum mit dem rot-grün Licht am Bug gekoppelt ist. Sowas blödes.

Das Wasser kräuselt sich jetzt leicht und das letzte dunkle Orange über der Küste Dänemarks spiegelt sich nun nicht mehr im Schwarz der Förde. Ich setze die Segel, lasse mich treiben und den Motor verstummen. Leichtes Plätschern ist zu hören und sonst…. leider nicht die erhoffte Stille. Mein Blick wandert in die Richtung, aus der laute Goa Töne durch die Finsternis hallen und irgendwo am Hang des bewaldeten Ufers erblicke ich ein Lagerfeuer am Strand. Party in einer lauen Sommernacht. Es sei ihnen gegönnt, denn so habe ich, zumindest was den Lärm angeht, auch keine Skrupel ein paar Meilen später erneut meine Maschine zu starten um etwas weiter nördlich zu gelangen. Mein Ziel in dieser Nacht ist die Grenze zur Außenförde.

Bereits um drei Uhr nachts ist der Himmel beinahe so blau wie am Tage und doch fehlt dem Firmament das Licht, um die Welt um mich herum zu erhellen. Es fasziniert mich, dieses Zusammenspiel aus hell und dunkel und ohne den Schein der Sonne, ohne dass sie hoch genug gestiegen ist, erblicke zwar alles um mich herum, doch es scheint keine Farben neben dem Blau über mir zu geben. Die Tonnen auf der Förde sind nur kleine dunkle Schatten im noch trüben Licht der stillen Nacht. Ihr elektrisch leuchtendes Rot spiegelt sich unterdessen auf der nassen Oberfläche der Förde und sorgt so für Abwechslung in der düsteren Umgebung.

Ich bin jetzt weit genug entfernt von der Goa-Party am Strand und lasse Findus‘  Maschine erneut verstummen. Eine herrliche Ruhe kehrt ein. Allein auf dem Wasser. Vollkommen allein. Die Dunkelheit ist längst verschwunden und ein Blick zur Uhr verrät mir, wie schnell die letzten Stunden an mir vorbei gezogen sind. Es ist schon seltsam, dass ich Zeit und Raum in der Nacht ganz anders wahrnehme. Selbst die geringe Geschwindigkeit meines kleinen Bootes kommt mir hier auf dem Dunkel des Wassers viel schneller vor. Die kleinen Wölbungen auf der Oberfläche ziehen scheinbar rasant an mir vorüber und Findus schwebt so lautlos dahin, dass mir jeglicher Bezug zum eigentlichen Tempo abhanden kommt.

Ich spüre, wie meine Sinne sich meiner Umgebung anpassen. Wie ich Tag und Nacht auch in meiner emotionalen Wahrnehmung beginne voneinander zu trennen und meine Erfahrungen im Hellen nicht mehr mit jenen der Dunkelheit abgleiche. Vielleicht sollte ich öfters nachts alleine auf See sein. Dieses Gefühl ist einfach schön. Die stille, das spärliche Licht, der Wind, alles ist viel intensiver, da meine Sinne sich neu orientieren und Aufgaben untereinander neu verteilen. Viel zu konform kommt mir in diesem Moment mein Leben noch immer vor. Angepasst an einen unnatürlichen Rhythmus, vorgegeben vom Lauf einer indoktrinierten Gesellschaft. Wie konnte es soweit kommen, dass der Mensch sich selbst verlor und zum scheinbar leblosen Roboter mutierte? An welchem Punkt hat er es verloren, das Leben im Einklang mit sich und seiner Umwelt? Es ist müßig hier und jetzt darüber nachzudenken und so verbanne meine Gedanken zur Menschheitsgeschichte wieder und besinne mich auf das, was mich umgibt.

Ich erreiche den imaginären Beginn der Außenförde. Dicht an der Schwiegermutter vorbei lasse ich mich nur wenig dahinter nur noch treiben. Es ist kaum Wind in dieser Nacht und mit höchstens einem Knoten Fahrt dümpelt Findus jetzt ziellos hin und her. Es gibt keinen Kurs. Und auch kein Ziel. Das Ziel war diese Nacht schlicht allein auf dämmernder See zu sein und dieses Ziel habe ich erreicht.

Im Naturschutzgebiet Holnis erwachen die ersten Vögel und zwitschern sich fröhlich ihre Lieder zu. Einer singt voller Inbrunst und ein anderer zwitschert seine Antwortet zurück. Ich mag diese Unterhaltung und lausche ihr andächtig. Wie wunderschön sie klingen. Und wie weit ihre zarten Kehlen diese melodischen Töne durch den anbrechenden Morgen tragen. Ich könnte ihnen ewig zuhören und lehne mich für einige Minuten entspannt zurück.

Frisch ist es jetzt geworden und sicherlich auch meiner Müdigkeit geschuldet durchzieht eine leichte Kühle nun meinen Körper. In eine dünne Wolldecke gehüllt sitze ich im Cockpit und warte. Doch worauf warte ich? Die Sonne wird sich nicht wie erhofft zeigen. Nur ihre weiß-gelb-rosanen Strahlen werfen bereits um 4.30 Uhr ihr Licht hinter den grauen Wolke empor. Und doch, ich möchte mich nicht losreißen von diesem Moment. Noch nicht.

Nach einiger Zeit bin ich dann doch an den Punkt umzukehren, bevor die Müdigkeit endgültig Besitz von mir ergreift und meine Erschöpfung mich unkonzentriert macht. Mein Boot ist nass vom Morgentau und dicke Tropfen bahnen sich ihren Weg durch die Feuchte an Deck. Es stört mich nicht, dass auch ich dabei die Nässe abbekomme und Decke, Kleidung und Hände feucht werden. Im Gegenteil, es treibt mir ein breiten Grinsen ins Gesicht. Im Einklang mit der Natur eben und hier bestimmt nunmal nicht der Mensch. Hier bin ich raus aus überstülpten Strukturen und lebe für wenige Momente mit der Einfachheit des Seins.

Der wenige Wind lässt nun völlig nach und wie bereits zu Beginn der Nacht liegt die See wieder spiegelglatt um mich herum. Ich berge die Segel und starte die Maschine. Es ist jetzt hell und ich möchte festmachen. Irgendwo. Im Hafen oder vielleicht an einer dänischen Turbøje, soweit ich eine freie finde.

Besselt und zufrieden mit mir selbst sehe ich achtern die Sonne hinter dem grauen Schleier hervortreten. Ihr Licht scheint golden auf die Förde und färbt das Wasser in ihren Glanz. Mir kommt der Gedanke, dass irgendwer vor langer, langer Zeit die Farbe Gold mit Wohlstand und Reichtum in Verbindung gebracht haben muss und ich verstehe in diesem Augenblick auch warum. So reich und glücklich fühle ich mich. Glücklich ob der Freiheit, die ich die Chance habe zu erleben und reich wegen des unermesslichen Geschenks, was die Natur mir bereitet.

Ich habe erneut Glück an diesem Morgen, denn die ersehnte Boje ist frei. Ich lege an und der Motor verstummt. Noch immer dröhnt vom gegenüberliegenden Ufer die Musik der Partygäste am Strand über die Förde und gegen 7 Uhr am Morgen schlafe zu rhythmischen Goa-Klängen erschöpft, aber zufrieden ein.

2 Kommentare

  1. oh Marion…das ist für mich auch immer wider toll über Nacht zu segeln…auch der Nervenkitzel bei völliger Dunkelheit unterwegs. Nun Sitz ich hier unter der Woche in Hamburg..am Wochenende fordert die Familie ihren Tribut und MAGRATHEA bekommt nen Bart.

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    • Findus Bart kommt morgen ab. Drücke dir die Daumen, dass Magrathea und du wenigstens zwischendurch mal raus kommt.

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