26. Juli 2023
Von Mut und Liebe

Ich fühle mich gestärkt und mein Mut und meine Willenskraft sind wieder da. Ich will raus. Will verdammt nochmal da raus. Der Wind wird nicht unbedingt besser in den nächsten Wochen, doch die Tage verstreichen. Es gibt allerdings hier und da winzige Zeitfenster in denen entspanntes Segeln möglich ist und dann muss ich diese eben versuchen zu nutzen. Heute ist so ein angesagtes Zeitfenster. Zwischen 06.00 und 10.00 Uhr soll der Wind hier etwas entspannter und nur mit Böen bis zu 20 Knoten wehen und das will ich nutzen.

Der Hafen schläft noch und fast habe ich ein schlechten Gewissen so früh schon an Bord rum zu turnen. Das Übliche eben: Fall, Fender, Leinen. Ganz geräuschlos geht das natürlich nicht, wohlgleich ich versuche keinen Lärm zu machen. Ich beeile mich, werfe die Maschine an und mache die Vorleinen los. Die Box ist kurz und ich ziehe mich zügig an den Achterleinen raus und stoße den Bug rum. Erst jetzt gebe ich Gas und fahre los. Der Hafen ist lang und ich nutze die kurze Zeit, die Achterleinen ordentlich aufzuschießen und zu verstauen. Alles was jetzt fertig ist, kann mich draußen nicht mehr stören oder gar gefährlich werden. Nichts ist schlimmer als Wuhling an Bord und dann nicht richtig und rechtzeitig reagieren zu können. Nein, da bin ich pingelig und Ordnung muss sein.

Direkt vor Assens Hafeneinfahrt breitet sich das Asnæsrev aus. Mit nur drei bis vier Metern Wassertiefe ist es im Normalfall tief genug um dort rüber fahren zu können, doch haben wir draußen eben genau aufgrund dieses Fachs eine gute Welle stehen. Mir ist es zu riskant Findus da durch zu jagen und so steuere ich lieber großzügig außenrum und nehme den wilden Ritt durch die mir entgenkommenden Wellen gern in Kauf. Ich kenne mich einfach zu wenig aus, mit Wellenhöhen und Grundseen und ich möchte nicht aufgrund meiner Unwissenheit im schlimmsten Fall mit dem Kiel auf Grund gerammt werden, wenn Findus ins Wellental eintaucht. Mit seinen zweieinhalb Tonnen verdrängt mein Schiff doch bereits ganz schöne Wassermassen und ich bin immer wieder fasziniert, welche Kraft in diesem Boot steckt.

Gischt spritzt zu beiden Seiten auf und mein Bug verschwindet nicht nur einmal im Wasser. Als würden 10 Litereimer an meine Sprayhood geschüttet werden peitscht die See an das Fenster. Wäre dieser Schutz nicht da, wäre ich jetzt klitschnass. Wahnsinn. Und das Verrückte ist, es ist mir nicht mal unwohl oder beängstigend zumute. Im Gegenteil. Ich bin voll wieder da und habe Spaß an dem, was ich hier tue. Ich fühle mich sicher und weiß, mein Boot kann das.

Geweckt vom Springen und Schaukeln steht meine Tochter plötzlich im Niedergang und fragt mich verschlafen: „Du bist sicher, dass das Boot das wirklich ab kann? Es bricht nicht einfach durch?“. Nein, es bricht nicht durch. Und ja, das Boot kann das ab. Sie war mal wieder die halbe Nacht wach und legt sich jetzt im Salon wieder auf die Koje. Wir werden gleich Wind von Steuerbord haben, weshalb sie sich backbord hinlegen soll. Da liegt sie sicher und das Gehüpfe und Gerolle wird sie dort am Wenigsten merken.

Erst wie ich auch Torørev an backbord hinter mir lasse, ziehe ich die Genua ein Stück raus. Vorher kam der Wind direkt von vorn und jegliche Art Segel hätte nur wild um sich geschlagen. So ein Rollsegel lässt sich mit jeder Drehung reffen, weshalb ich es erstmal nur etwa dreiviertel ausrolle. Der Wind kommt jetzt leicht schräg von vorne und mit dem Vorsegel stabilisiere ich so das Schiff. Die Wellen werden humaner, Findus rennt konstanter und springt nicht mehr so stark und es dauert nicht lange, da rolle ich die Genua ganz raus.

Was ich hier mache ist einfach nur genial. Es ist füher Morgen, nur zwei weitere Schiffe sind zu sehen und ich spüre so ein unendlich befriedigendes Gefühl. Das alles hier ist so irre schön.

Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wie Findus mit über sechs und teilweise sogar sieben Knoten trotz gerefftem Großsegel die Wellen abreitet. Ich kann überhaupt nicht fassen, was ich hier gerade mache und gleichzeitig staune ich darüber, wie leicht das alles geht. Der Autopilot steuert, während mein Boot scharf durch die See pflügt und ich lehne mich derweil zurück und genieße die Stille, die nur vom Rauschen des Windes und dem Gurgeln der schäumenden Gischt um mich herum unterbrochen wird.

DMI zeigt jetzt zwei düstere Wolkenfelder an, doch ich bin vorbereitet. Immer wieder brauen sie sich zusammen und bringen Wind und Regen mit sich. Wo vormals noch blauer Himmel war, ziehen auf ein Mal düstere Wolken heran. Doch bislang habe ich Glück, denn das eine Starkregenfeld geht nördlich, also hinter mir durch und das zweite bleibt weit genug südwestlich und regnet sich dort aus. Von Südosten lacht derweil die Sonne und wirft hinter mir einen Regenbogenstrahl ins Wasser.

So wie es jetzt ist, so könnte es ewig weitergehen. Findus rauscht und rennt, die Strömung ist mit mir und keine fremden Boote sind in Sicht. Dieses Alleinsein lässt mich aufblühen, denn genau diese Momente auf See liebe ich so sehr. Sie lassen mich rundum das Leben spüren und ich vergesse, obgleich der Schönheit um mich herum, alles was in meinem Leben an Land nicht rund oder auch schief läuft. Es ist einfach wieder da, dieses SEIN. Fernab von Zwängen, Verpflichtungen und Rollen. Genau das hier ist der Grund, warum ich aufs Wasser muss, warum ich segeln will. Leben, Lieben, Sein.

Ich bin vollkommen im Vertrauen zu meinem Boot, denn Findus ist wie ein zuverlässiger Partner. Ich kann mich entspannt zurück lehnen und weiß, mein Schiff hält den Kurs. Wir haben einen unausgesprochenen Deal. Ich kümmere mich um mein Schiff, gebe ihm die Chance sich in seinem Element auszutoben, ich hege und pflege es und es gibt mir dafür die Möglichkeit, ganz ich selber sein zu können. Mein Schiff stellt keine Fragen. Es fordert nichts. Mit meiner Liebe zu ihm hole ich das Beste aus ihm heraus und im Gegenzug gibt es sein Bestes, um mich glücklich zu machen. Was für ein Deal, den ich schlicht und einfach LIEBE nenne.

Und diese Liebe zu meinem Schiff ist Grenzenlos und mit nichts anderem zu vergleichen.

Beseelt und glücklich ziehen die nächsten Meilen an mir vorbei und ich lasse einfach geschehen, was mich umgibt. Die Zeit scheint beinahe still zu stehen, denn es hört einfach nicht auf. Jeder neue Augenblick entspricht einem Traum. Ein Traum der in diesem Moment due pure Wirklichkeit ist.

Doch von Westen her zieht es jetzt düster herüber. Ein weiteres Regenfeld macht sich von Land aus auf den Weg den kleinen Belt zu überqueren und auf seinem Weg alles mit dicken Regentropfen zu benetzen. Was soll’s, irgendwann muss es mich schließlich heute noch treffen und vorbereitet bin auf dieses Szenario schon seit ich den Hafen von Assens verlassen habe.

Ich bin etwas unsicher, ob die Wolke weiteren Wind mit sich bringen wird und rolle vorsichtshalber das Vorsegel ein. Das macht keine Arbeit und etwas langsamer zu sein ist jetzt auch nicht verkehrt. Fynshav liegt bereits direkt vor mir und zu schnell möchte ich jetzt gar nicht mehr sein. Im strömenden Regen im Hafen anzukommen bedeutet im Zweifel auch, dass keine Menschenseele am Steg unterwegs ist oder im eigenen Cockpit sitzt und mir so bei Bedarf beim Anlegen zur Hand gehen kann.

Der Schauer ist kräftig, jedoch währt er nur kurz. Doch auch so ist das gereffte Großsegel in seinen ordentlich aufgetuchten Falten gefüllt mit Regenwasser, was nun im Strahl wie aus dem Wasserhahn heraus läuft. Pitschnass aber glücklich rolle ich nach dem kurzzeitigen Wolkenbruch das Vorsegel doch nochmal raus und genieße lächelnd die letzte Meile, bevor ich langsam beginne mein Boot fürs Anlegen vorzubereiten.

Was für Gefühl. Was für ein schieres Glück. Was für Momente, die ich hier erleben darf. Sonne und Regen, schwarze und bedrohliche Wolken, sowie strahlend blauer Himmel. Wind und Wellen, Gischt und Regenbögen. Ich liebe es so unendlich auf dem Wasser zu sein. Ich liebe mein Boot für all das, was es mir gibt und ich liebe mich. Ja, ich liebe mich dafür, dass ich mir selbst diesen Traum vom echten Sein erfülle. Dass ich den Mut aufbringe und nach jedem Tief doch immer wieder raus fahre und mich dafür mit diesem Gefühl des Ankommens, den Bildern auf See mit ihren kontrastreichen und intensiven Farben beschenke. Danke.

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