20. Juli 2022
Zurück in die Südsee

Erneut liegen rund vierzig Meilen vor mir. Doch nicht wie erhofft weiter Richtung Norden. Das wird in diesem Jahr einfach nichts. Ob es ausschließlich die Bedenken und die Sorgen über zu viel Wind sind oder die Angst das Boot nicht gehandelt zu bekommen und beim Anlegen im Hafen zu versagen, die mich zögern lässen, in diesem Jahr weiter zu kommen oder ob es doch eher an meiner persönlichen und emotionalen Abgeschlagenheit liegt, dass ich heute doch wieder nach Süden fahre kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Doch warum sollte auf See alles reibungslos funktionieren, wenn alles drum herum gerade im Schatten mit schwarz und grau überzogen ist?

Ich versuche dennoch das Beste aus diesem Tag zu machen und lege bei traumhafter Flaute ab. Es ist noch recht früh am Morgen und mein Boot ist noch nass vom Tau. Ich trocke es nicht, bevor ich losfahre, sondern lasse es so feucht wie es ist. Einfach weil ich diesen Flair, früh unterwegs zu sein, unheimlich gerne mag. Die glitzernden feinen Tropfen an Deck  sind dabei für mich nicht wegzudenken. Nicht viele Boote sind bereits los gefahren und nur vereinzelt sieht man sie und das auch nur verschwommen und im milchigem Dunst der aufsteigenden feuchten Wärme.

In der Ferne liegt die Landschaft noch umgeben von Nebelschwaden und dieses Licht hat einfach etwas ganz besonderes. Geheimnisvoll und voller Mystik präsentiert es sich heute. Ich kann mich nicht wirklich satt sehen an diesen Bildern und möchte jeden Zentimeter festhalten, um all diese winzigen Augenblicke irgendwann wieder in meine Erinnerung zurück holen zu können.

Die Fahrt durch den Fanø Sund geht viel zu schnell und ich schieße viel zu viele Bilder. Ich kann mich nicht entscheiden, welche Perspektive die schönste ist, denn egal wohin ich sehe, die Natur, die Landschaft, die See, alles ist so besonders und ich möchte einfach alles in meinem Herzen bewahren.

Vielleicht bin ich auch einfach nur froh darüber, endlich wieder etwas positives zu fühlen. Diese Atmosphäre an mich heran lassen zu können ohne dabei permanente Schatten und dunkle Wolken über mir zu haben. Ein Stück weit bin ich wohl wieder auf dem Weg zu mir selbst. Ganz langsam. Es braucht eben alles seine Zeit. Und vorallem braucht es Stille.

An wann ist man eigentlich ein richtiger Segler? Nur dann, wenn man die wilde Sau raus lässt und bei kräftigem Wind auf See sich selbst und andere in Gefahr bringt? Wenn man das Material seines Bootes an die Grenzen des Möglichen bringt? Wenn die Gischt über das gesamte Boot peitscht und die See kurz davor ist, ins Cockpit einzusteigen? Wenn man von gerissen Fallen oder Schoten berichten kann und die Segel ordentlich gelitten haben? Wenn man nach einem Törn von Mastbruch oder Grundberührung erzählen kann? Sind es ausschließlich die großen Gefahren, die überzogenen Geschichten und heldenhaften Taten, die einen Segler ausmachen? Oder sind es auch die stillen Momente auf See?

Das spiegelglatte Wasser, was am Horizont mit dem ebenso blauen Himmel verschmilzt? Das funkelnde Glitzern der aufgehenden Sonne in den kleinen und zarten Wellchen der ruhigen See? Das Flimmern der feuchten Luftschichten über den Ufern, dessen Land aus saftigem Grün sein kontrastreiches Band zwischen Himmel und Wasser säumt? Das gleichmäßige Plätschern, wenn das blaue Nass langsam am Bug entlangrauscht? Der kaum einzufangende Windhauch, der das Boot nur minimal, wenn überhaupt, vorwärts bringt? Und letztlich auch das Rattern der Maschine, wenn Wind und Strom einen mal wieder nicht weiter bringen?

Ich liebe diese Stille. Diese Stimmung der Flaute am Morgen. Diese besondere Atmosphäre, das spezielle Licht. Den Duft und die warme Feuchtigkeit. Ich liebe den Blick in die Ferne und die scheinbare Unendlichkeit. Ich liebe das damit verbundene Sein. Je weiter mein Blick reicht, je offener die See vor mir liegt und je mehr Nichts mich umgibt, desto weniger brauche ich und umso zufriedener bin ich mit mir und dem Leben.

Die Maschine knattert vor sich hin und der Autopilot hält den Kurs. Meine Tochter schläft und auf dem Wasser ist so gut wie nichts los. Das ist meine Zeit. Diese kostbare und mit nichts zu vergleichende Zeit, die nur für mich ist. In der ich ausschließlich bin und auch wirklich sein kann. Wo ich keine Rolle übernehmen muss und im Einklang mit mir selbst meine Umgebung viel intensiver und deutlicher wahrzunehmen vermag. Hier komme ich endlich an. Hier kann ich durchatmen und bin frei.

Der Morgen ist immer noch jung und ich genieße in der angenehm warmen Sonne mein Frühstück. Was es hier so besonders macht ist sie Zeit, die ich habe. Kein Druck, keine Erwartungen, keine Verpflichtung. Einfach in den Tag hineinleben. Hier und heute scheint die Uhr für mich gerade still zu stehen und diese Zeit, die ich intensiv mit mir selbst verbringen kann, ist der wahre Luxus, den ich an Bord so liebe.

Es geht weiter Richtung Süden und auch wenn ein leichter Stich meine Stimmung trübt, so bin ich doch froh über das Leben, was in mir drinnen wieder zu einem Licht gefunden hat und sich nicht komplett vom Dunkel hat einnehmen lassen.

Die Richtung stimmt. Nicht unbedingt die Richtung nach Süden, nein, die mit Sicherheit nicht. Doch es ist die See. Und es ist mein Boot. Bei allen Unwettern und Stürmen, in denen ich nicht auslaufen kann und gefangen bin an Land, umgeben von Fremden und Unbekanntem, von Mauern und Menschen, aber auch der Nebelscheier der Orientierungslosigkeit und Unsicherheit mit sich bringt und ebenso die Flaute, die das Erreichen eines Zieles nahezu unmöglich erscheinen lässt, bei alle dem weiß ich dennoch, ich will nichts anderes als mein Boot und die See. Die Richtung ist vorgegeben und nun heißt es, das wahre Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Auch wenn mich die Zeit dahin immer wieder auf eine harte Probe stellen wird.

Nach zwanzig Meilen ist noch immer kein Wind. Ich stehe auf der Cockpit Bank meiner kleinen Plicht, die Arme auf dem Baum meines Schiffes gelegt und sehe nach vorn. Was für ein Bild. Die See so voller Gefühl, voller Hoffnung und mit einer faszinierenden Schönheit. Ein lauer Windhauch weht mir ins Gesicht. Zu wenig zum Segeln, doch die zarte Brise umgibt mich sanft und ich fühle mich umarmt vom warmen Wind. Neben dem Rattern des Motors höre ich nun Musik durch meine Bluetooth-Box. Die wenigen Boote, die mittlerweile unterwegs sind, sind zu weit entfernt, als dass ich ihre eigene Stille durch die Klänge der Musik bei mir an Bord stören könnte.

Noch immer in meinem Ohr habe ich vom Vorabend die Melodie  von „Nothing else matters“ und beginnend mit diesem Song lasse ich die mir unbekannte Playlist von YouTube Music einfach laufen. Es tut gut, die Texte der unterschiedlichen Songs eigens zu interpretieren und die einzelnen Passagen für mich ganz persönlich wirken zu lassen. Innerlich bejahe ich die eine oder andere Textzeile, doch bei „Sound of silence“ halte ich unwillkürlich inne. Da ist es. Ein Lächeln zeigt sich in meinem Gesicht, ich atme tief ein und der lang erhoffte und so sehr ersehnte innere Frieden stellt sich endlich ein. Der Klang der Stille. Hier draußen im Nichts.

Ich merke, wie mir wie aus diesem Nichts und ohne jegliche Anflüche von Traurigkeit Tränen aus den Augenwinkeln entweichen und wie ich ganz von selbst und ohne destruktive Gedanken beginne zu weinen. Doch dieses Mal sind es Tränen der Freude, die warm über meine Wangen rinnen. Es ist verrückt, was das, was ich hier draußen alles fühle, mit mir macht. Ein Meer voll von Emotionen so tief wie ein Ozean. Hin und wieder so schwer und dunkel und dann wieder voller Leichtigkeit und Licht. Und beide Extreme haben dabei ihre Berechtigung. Sturm und Flaute eben. Beinahe von jetzt auf gleich. Und umgekehrt.

Heute bin ich in Faaborg gelandet. Ein Hafen der mir gefällt. Bereits im letzten Jahr war ich hier und konnte den Flair und das Ambiente am Hafen genießen. Auch heute mache ich meine Runde durch die kleinen und romantischen Gassen, bevor die Sonne den heutigen Abend abrundent und mich mit einem guten und positiven Gefühl einschlafen lässt.

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